Die Pleistermühle an der Werse kenne ich seit meiner Jugend. Die Mühle war damals noch eine Wassermühle, in der Mehl gemahlen wurde. Gut kann ich mich noch an die großen Mühlräder im Inneren der Mühle und die Transmissionsriemen erinnern. Der Betrieb von Müller Heinrich Meinert und Sohn Bernhard ist etwa Ende der 1960er Jahre eingestellt worden, als der Werselauf zur Anlage eines neuen, modernen Klappenwehrs umgeleitet wurde. Der Wasserdurchlaß mittels Schütten wurde bis auf einen kleinen Durchlaß zugeschüttet. Die Müllerei wurde geschlossen und das Gebäude verfiel. Ende der 1970er Jahre wurde es an den Antiquitätenhändler Kiene verkauft und renoviert.
Die 67 Kilometer lange Werse wird seit dem Mittelalter an der Mühle aufgestaut und ist somit ein sehr langsam fließendes Flüßchen durch das nördliche Westfalen. Weiter flußabwärts existieren noch die Sudmühle und die Havichhorster Mühle. Etwas nördlich davon mündet die Werse in die Ems.
Die ehemalige Kornmühle Pleistermühle bildete anfangs einen Teil des Rittersitzes Schulze Pleister (heute Schulze Bockeloh am Prozessionsweg). Die Mühle wird 1320 als "molendinum quondam Johannis de Bleshere" erwähnt, aus der eine jährliche Rente von 1 Malter Roggen und 1 Malter Malz an das münsterische Kapitel St. Ludgeri entrichtet wurde. 1412 zahlte Johan de Molner to Blessere dem münsterischen Domkapitel 1 Denar Rente.
Die Mühle war Eigentum der Bischöfe von Münster und - wie auch der Hof Schulze Pleister - an die Herren von Kerkerinck zur Borg als Lehen ausgetan. 1538 zahlte Berndt Kerkerinck "ex molendino Bleszer" die schon 1320 erwähnte Rente an das Kapitel St. Ludgeri in Höhe von 1 Malter Roggen (Wert: 4 Mark 9 Schilling) und 1 Malter Gerste (3,5 Mark). Um die Mitte des 17. Jahrhunderts war der Pleistermühle eine Walkmühle der münsterischen Wüllner (= Tuchmacher) angegliedert ("1703 Korte auf Pleistermühle"). Um 1800 und 1808 wird der Müller Wilhelm Schopmann auf der Peistermühle genannt.
Im Jahre 1828 verkauften die Herren von Kerkerinck zur Borg die Pleistermühle an den Müller Caspar Claeßen bzw. Claes / Klaas. Zu der Zeit war ein Bunge als Tagelöhner an der "Bleister Mühle" angestellt. Zur Kornmühle gehörte das Wohnhaus des Müllers als Kotten. Klaas begann hier bald mit dem Ausschank von alkoholischen Getränken an Spaziergänger (s. u.) und sicherte sich somit Nebeneinnahmen. Er war augenscheinlich insgesamt sehr geschäftstüchtig, denn 1832 errichtete er auf dem rechten, östlichen Werseufer, welches zum Kirchspiel Handorf gehörte, eine zweite Mühle mit zwei Korn-Mahlgängen, die zusätzlich als Pellmühle (zur Graupenherbstllung), Bockemühle (zur Bearbeititung von Rohflachs), Lohmühle (zur Vermmahlung gerbhlatiger Baumrinde zum Gerben) und Ölmühle (Pressen von Raps und Flachssamen) eingerichtet war. Dafür mußten an der Werse eine neue Umflut und ein Überfallwehr aus Quadersteinen eingerichet werden.
Womöglich erzielte Klaas durch seinen Schankbetrieb so viel Einkommen, daß er es sich leisten konnte, 1838 die Mühlen an die Westfälische Provinzial-Hülfskasse (Vorläuferin der ehem. West-LB) zu verkaufen. Zwischen 1842 und 1847 gelangten sie dann an den Bauern Große Bracht. Die Witwe Große Bracht errichtete 1862/63 anstelle der komplett abgebrannten Mühle auf dem rechten Werseufer ein neues Gebäude mit fünf Mahlgängen. 1874 wurde die Flutmulde ("Mühlenkolk") erheblich erweitert. Zu diesem Zweck hatte man Grund und Boden vom Haus Vehoff erworben. Die Mehrzweckmühle war zu dieser Zeit noch im Betrieb und wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts abgebrochen.
Der Nachfolger auf dem Hof Große Bracht, Heinrich Overesch, wurde 1877 mit einer Strafe belegt, weil er einen provorischen Damm zum Bau der neuen Mühle immer noch nicht beseitigt hatte. 1882 stellte er die Mühle auf Turbinenbetrieb um und gliederte eine Sägemühl an. Diese befand sich an der Stelle des heutigen neuen Parkplatzes des Hotels Pleistermühle und wurde Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört.
Im Zuge der romantischen Bewegung "entdeckte" die städtische Bevölkerung die Natur und strömte bald in Scharen vor die Stadttore. Carl Spitzwegs "Der Sonntagsspaziergang" von 1841 zeigt auf wunderschöne Art und Weise eine solche Szenerie. Auch die Münsteraner zogen aus der Stadt. Wurde zuerst die ganz unmittelbare Umgebung aufgesucht wie z.B. der Schloßgarten, die neu angelegte Promenade und die "Insel" (ein Teil der alten Stadtbefestigung) samt Kaffeehaus, so wandte man sich bald weiter entfernt liegenden Zielen zu. Gerne besuchte man die Höfe der sogenannten "Milchbauern", die täglich mit Fuhrwerken Milch an ihre städtischen Kunden lieferten. Besondere Attraktivität hatte die Gegend östlich Münsters durch die vorbeifließende Werse, die nur etwa 6 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt lag. So boten in Handorf und St. Mauritz zunehmend Einheimische den Verkauf von heißem Wasser an und ersuchten bald um die genehmigungspflichtige Konzession zum Alkoholausschank, die akribisch von den Ämtern geprüft wurde.
Vor allem die Werse an der Pleistermühle entwickelte sich zum populären Badeparadies der Münsteraner. Bereits 1817 wurde wegen zahlreicher Badeunfälle eine Verordnung erlassen, die das Baden im Fluß gänzlich untersagte. Delinquenten, die dagegen verstießen, sollten arretiert und in die Stadt zurückgeführt werden. Augenscheinlich scherte sich niemand um dieses Verbot, ganz im Gegenteil. 1846 gibt es eine offizielle Beschwerde darüber, daß am öffentlichen Vergnügungsorte Pleistermühle Anstößigkeiten stattfänden. Ganz unbekleidete Männer führen von der Badestelle in einem Nachem umher, und legten dort an, wo das besuchende Publikum sitzt.
Der bereits oben erwähnte Müller Klaas begann augenscheinlich nach dem Kauf der Kornmühle 1828 damit, in seinem Wohnhaus Schnaps und Wein auszuschenken. Dies bildet die Grundlage der späteren Kaffeewirtschaft.
Ab 1850 kam es zu lebhaften Auseinandersetzungen der Pächter der Schenk- und Kaffeewirtschaft Pleistermühle (die dem Landwirt Große Bracht gehörte) mit dem Amt St. Mauritz um die Konzessionserteilung. Mit allen zur Vorfügung stehenden Mitteln versuchte man, das Gewerbe auch mit fehlender Konzession zu betreiben bis das Amt schließlich nachgab und die Erlaubnis erteilte. Betrieben wurde der Ausschank in einem typisch münsterländischen Kötterhaus mit Tenne, Ställen und Heuboden, wie ein im Archiv erhaltener Grundriß verrät. Im hinteren Teil des Hauses, hinter der großen Küche, befand sich eine "Upkammer" und der Schankraum. Von der Tenne und dem davor gelegenen Platz blickte man direkt auf die Mehlmühle, die nach einem Brand im Herbst 1861 einige Monate später wieder aufgebaut wurde.
Der Zulauf des Kaffeegartens der Pleistermühle und der Werse steigerte sich ab den 1875er Jahren kontinuierlich stark. Als dann ab 1881 am Mühlenkolk noch jeden Sommer eine Fluß-Badeanstalt des populären 13. Infanterieregimentes errichtet wurde, brachen alle Dämme. Bis mindestens 1882 wurde der Ausschank im alten Kötterhaus betrieben, danach erfolgte bis ca. 1890 ein großzügiger Ausbau des Gebäudes: das Haus wurde nach hinten stark verlängert. Vor das alte Tennentor erfolgte ein Anbau nach vorne und das Dachgeschoß wurde erhöht und ausgebaut. Das Nebengebäude, welches früher als Remise gedient hatte, wurde ebenfalls als Schankraum ausgebaut.
Ein Indiz für für den großen Besucherandrang in der Region ist auch, daß 1883 die "Werse-Dampf-Schiff-Fahrt" zwischen der Pleister- und Sudmühle eröffnet wurde. Auf einem 40 m langen umgebauten Rheinfrachter, der 50 Personen befördern konnte, hatten die Gäste viel Spaß und es tat der Freude keinen Abbruch, wenn der Kapitän des "Kleinen Günter" die Passagiere aufforderte, das Schiff durch Gewichtsverlagerung von einer Sandbank zu hieven. 1896 hatten die Fahrten ein jähes Ende, denn das Schiff versank augenscheinlich in den Wersefluten. Höchstwahrscheinlich wurde es gehoben und auf dem 1899 eröffneten Dortmund-Ems-Kanal eingesetzt.
Die Werse an der Pleistermühle übte auch nach der Jahrhundertwende große Anziehungskraft auf die Münsteraner Bevölkerung aus. Der bereits in den 1880er Jahren eingerichtete Ruderbootverleih florierte und an immer mehr Tischen im Gebäude und auf den weitläufigen Außenanlagen wurde Kaffee und Kuchen serviert. Ein Bild aus dem Jahre 1935 zeigt zwei Kellner der Pleistermühle beim Tragen der übervollen Tabletts. Ein Fragment der auf dem Bild gezeigten Kaffeekannen wurde 2021 im Wersekolk an der Pleistermühle gefunden.
Quellen:
Eigene Untersuchungen vor allem im Stadtarchiv Münster.
- Kerstin Ullrich: Im Land der grossen Kaffeekannen. Bilder aus alten Zeiten von Kaffeewallfahrten, Kahnpartien und anderen Vergnügungen in Münster und im Münsterland. Münster 1992