Die Restaurierung einer Singer Improved Manufacturing Nähmaschine

Bedingt durch einen Umzug fiel mir die lange vergessene Nähmaschine meines Großvaters in die Hände. In einen Plastikbeutel gewickelt lag sie auf dem Dachboden. Ich war wie elektrisiert durch den Fund. Auf den ersten Blick machte sie gar nicht mal so einen üblen Eindruck, sogar die Fadenspule samt Faden war noch eingelegt. Insgesamt zeigte sie aber zahlreiche Roststellen. Das dazugehörige Untergestell war in einem erbärmlicheren Zustand, hatte es doch einige Jahrzehnte als Tisch im Garten gestanden.

Ohne lange Überlegung entschloß ich mich zur Wieder-Inbetriebnahme dieses Familienerbstückes, welches vermutlich gut 50 Jahre lang nicht mehr benutzt worden war. In den Besitz meines Großvaters, eines selbständigen Handwerksmeisters, gelangte die Maschine wohl Anfang der 1930er Jahre und war Zeit seiner Berufstätigkeit mehr oder weniger im Dauereinsatz. Später wurde die Maschine vererbt und geriet in Vergessenheit.

Meine einzigen Vorkenntnisse zu historischen Nähmaschinen beschränkten sich zu Anfang der Restaurierung auf die Tatsache, daß ich noch auf einer mechanischen Singer Nähmaschine Klasse 215 das Nähen gelernt hatte. Wo also anfangen? Einzig klar anhand des Firmenschildes war, daß es sich bei dem Dachbodenfund auch um Singer Nähmaschine handelte. Im Internet konnte ich dann anhand der Seriennummer 9652765 recherchieren, daß meine Maschine 1890 in Elizabeth, New Jersey, USA, bei Singer gebaut worden war.

Die Internetsuche nach dem Typ der Maschine gestaltete sich ungleich schwieriger. Ich wußte nicht, daß es viele verschiedene Nähmaschinentypen gab! Ein wichtiger Anhaltspunkt war die ungewöhnliche, geschwungene Form der Nähmaschinen "Hauptplatte" (ich mußte erst einmal auf Deutsch und Englisch die korrekte Terminologie lernen). Auf Englisch bezeichnet man diese als "fiddle base". Das schränkte die Suche schon einmal ein. Sehr hilfreich zur Identifizierung war die Webseite der "International Sewing Machine Collector's Society". Nach längerer Suche fand ich dort den Typ "Improved Family" IF, den Vorläufer des Klasse 15-Modells. Dieses Modell ähnelte schon sehr meiner Maschine. Kurz darauf hatte ich beim Betrachten weiterer Beispielphotos die Lösung zum Typus meiner Maschine gefunden: meine ist die "große Schwester" der IF, nämlich die "Improved Manufacturing" IM, dem Vorläufer der Klasse 16-Maschinen. Die IM ist eine Industriemaschine von fast der gleichen Form wie die IF, nur größer, schwerer und stabiler. Vom Typus handelt es sich um eine Bahnschwinggreifermaschine, auch Zentralspulengreifer- oder Zentralschiffchennähmaschine genannt (auf Englisch: central bobbin CB).
Wohingegen man im Internet zahlreiche Informationen zur Improved Family findet, sind Infos zur Improved Manufacturing mehr als rar gesät.

Die Restaurierung begann ich mit dem Nähmaschinengestell, weil es mir als einfacher erschien. Als erstes demontierte ich die provisorisch darauf geschraubte Tischplatte. Die Originalplatte hatte leider die Jahre im Regen nicht überstanden.


Nun stand eine grobe Säuberung von Schmutz, Moos und losem Rost an. Danach folgte die Bearbeitung des Gußgestells mit feiner Drahtbürste und Schmiergelpapier. Besondere Vorsicht war bei der hölzernen Zugstange ("pitman") geboten, die vor allem im unteren Bereich ständigem Regenwasser ausgesetzt gewesen war. Die Öffnungen in der Stange waren komplett verdreckt und mußten erst mal freigelegt werden.

Danach folgte das sorgfältige Streichen des ganzen Gestells zwei Mal mit Rostwandler. Anschließend wurden die "Zierleisten" des Gestells sowie die Beschriftung mit Goldbronze nachgezeichnet. Das Ergebnis ließ sich sehen!

Leider hatte die ursprünglich noch vorhandene Originalplatte die Jahre im Garten nicht überstanden und war durch eine provisorische Platte ersetzt worden. Nach der Demontage begann ich mit den Planungen zur Rekonstruktion des Originaltisches. Die Besitzerin einer Improved Family Maschine mit Originalplatte übermittelte mir deren Maße. Trotz des optisch identischen Gußgestells stellte sich heraus, daß nicht nur meine Maschine größer war, sondern auch das Gestell. Was tun? Das Glück kam mir zur Hilfe. Gerade, als ich noch an den Maßen tüftelte, stellte jemand eine ganze Serie Bilder einer restaurierten IM ins Netz - leider ohne Kontaktadresse. Aufgrund der vielen Photos konnte ich aber die Größe der Platte ermitteln, mir lagen ja die Maße des Gestells und der Nähmaschine vor.

Also besorgte ich mir im Baumarkt eine Leimplatte, schnitt sie auf die richtigen Maße und bearbeitete die Kanten. Nun mußte die Maschine richtig auf der Platte positioniert werden. Laut Photos stand sie nicht mittig, sondern etwas näher zur Vorderkante. Schwierig war die Ermittlung der Löcherposition für den Treibriemen. Dieser muß logischerweise exakt gerade vom großen Treibrad unten zum kleinen Schwungrad oben geführt werden.

Nach der Justierung der Maschine auf der Platte erfolgte das Aussägen der Aussparung für die Nähmaschine und den Treibriemen. Die Abschrägungen für die Befestigungsscharniere der Maschine auf der Holzplatte wurden mit dem Stecheisen vorgenommen. Nach dem Streichen der Platte erfolgte von unten das Festschrauben des Gestells. Dieses hatte sich über die Jahrzehnte etwas verzogen und mußte erst ausgerichtet werden. Als letztes wurden alle beweglichen Teile mit einer Fettspritze großzügig abgeschmiert.


Jetzt widmete ich mich der Nähmaschine. Um den Arm war noch der alte Treibriemen gewickelt und die angerostete Nähnadel stellte sich unter der Lupe als echte Singer Nummer 21 Flachkolbennadel nach dem System 130/705 heraus, was der heutigen Größe 130 entspricht. Sogar eine mit ziemlich dickem Garn umwickelte Spule war vorhanden. Das Nähfüßchen erschien mir nicht als Original. Es paßte zwar, war aber hochglanzvernickelt. Wie sich herausstellte, gehörte es zur Singer 215. In dieser Maschine fand sich dann auch das Originalfüßchen der alten Singer.




Als erstes entfernte ich den oberflächlichen Schmutz der Maschine. Danach erfolgte die Demontage aller abschraubbaren Teile und deren Entrostung sowie die vorsichtige Entrostung der Grundplatte, um den noch vorhandenen Lack nicht zu zerstören. Bei den Arbeiten stellte ich fest, daß die Maschine an vielen Stellen, vor allem aber im Bereich des Schwungrades, von einem stumpfen, harten, durchsichtigen Film überzogen war. Ich vermute, daß es sich um Schellack handelte, der entweder noch aus dem Werk stammte oder von meinem Großvater aufgetragen worden war. In mühseliger Kleinarbeit entfernte ich den Lack, wobei mir zur Hilfe kam, daß er alkohollöslig ist (ich benutzte Spiritus). Zu meiner großen Freude kamen auf der abschraubbaren hinteren Abdeckplatte noch Fragmente der ursprünglichen Dekoration zu Tage!

Als nächstes erfolgte das großzügige Einsprühen aller beweglichen Teile mit dem Kriechöl WD-40. In alten Handbüchern empfiehlt man Petroleum zur Lösung von verharztem Fett. Heute ist WD-40 oder Ballistol das Mittel der Wahl. Man bewegt anschließend die Teile, läßt das Mittel einwirken, bewegt die Teile wieder und merkt bald, daß sie viel leichtgängiger werden. Zudem löst WD-40 den noch innen festsitzenden Schmutz, der dann mit einer alten Zahnbürste und einem Lappen entfernt werden kann.

Nun wurde es schwierig: der Fadenspannungsregulierer war an der Reihe. Ich hatte ihn komplett demontiert und festgestellt, daß die Fadenanzugsfeder abgebrochen war. Das Unterteil steckte noch im Gehäuse.

Es dauerte einige Zeit bis mir klar wurde, daß ich (leider!) die Schraube, die das ganze Konstrukt hält, ausbauen muß, um den Federrest zu demontieren. Die Schraube wiederum wird aber durch eine Schraube gehalten, die die ganze Passung zusammenpreßt. Diese saß bombenfest und das Oberteil war völlig "vernudelt", und es bedurfte ziemlicher Anstrengungen, sie zu entfernen. Nun konnte auch die Fadenspannungsschraube einfach herausgenommen werden und man sah die Einkerbung, mit der die Fadenspannungsfeder fixiert wird.

Zwischenzeitlich hatte ich mir beim Nähzentrum Braunschweig eine neue Feder und einen Treibriemen bestellt. Der Fadenspannungsregler konnte nun wieder zusammengebaut werden.

Zudem wurde eine neue Nähnadel eingesetzt und das Originalfüßchen montiert.


Nun folgte das gründliche Ölen aller beweglichen Teile, das Aufsetzen der Maschine auf das Untergestell und das Anbringen des Treibriemens. Das Einfädeln des Oberfadens und das schwierige Einsetzen der Spule konnte ich der alten Betriebsanleitung einer "Improved Family" entnehmen. Nach dem in der Anleitung empfohlenen trial and error Prinzip justierte ich die obere Fadenspannung und nun wurde es ernst: der erste Nähversuch!

Durch das Reinigen und Ölen war die Maschine extrem leichtgängig geworden. Problemlos setzte sie sich in Gang. Die erste Naht (auf dem Photo links unten, Bild bitte anklicken) förderte noch reichlich Öl nach oben in den Stoff. Mit jeder Naht wurde es besser.
Momentaner Status ist, daß die Maschine wunderschön läuft, ich aber ganz offensichtlich die Fadenspannung falsch bediene. Zudem ist die Stichlänge, obwohl auf größte Länge gestellt, viel zu klein. Hier gibt es noch deutlichen Handlungsbedarf!

Fazit: ich habe das 125-Jahre-alte Schätzchen meines Großvaters wieder zum Leben erweckt. Bei der Maschine handelt es sich um eine phantastische Wertarbeit. Frappierend ist, daß es kaum große Unterschiede zu einer modernen Nähmaschine gibt. Die Technologie wurde zwar verfeinert, ist aber nach wie vor die gleiche.





Empfehlenswerte Links:

- International Sewing Machine Collectors' Society
- Nähmaschinenverzeichnis
- singersewinginfo.co.uk
- Nadelgrößen
- Bedienungs- und Justierungsanleitung u.a. für eine Singer class 15