Eine Reise nach Jersey

Im Juni 2019 war ein Besuch auf der Kanalinsel Jersey geplant. Die Kanalinseln stellen eine Besonderheit dar: sie liegen mit ca. 25 Kilometern Entfernung viel dichter an der französischen Küste denn an Großbritannien (ca. 150 km) und sind deshalb auch kein Teil der Britischen Inseln. Politisch gehören die Inseln nicht zum Vereinigten Königreich, sondern sind Kronbesitz der britischen Krone (King oder Queen sind auch Herzöge der Normandie). Gleichzeitig sind sie auch nicht Teil der EU aber des EU-Zollraums. Dies hat zur Folge, daß man bei der Anreise aus Deutschland aus dem EU-Raum ausreist und sich dieses auch (in den allermeisten Fällen) bei den Roamingkosten für das Telefon stark bemerkbar macht.

Das Wetter der Inseln ist stark durch den Golfstrom beeinflußt und ganzjährig mild, Frost ist fast unbekannt, wie man auch an der Vegetation, u.a. den Palmen, ablesen kann. Der Tidenhub ist, wie im nicht sehr weit entfernten französischen St. Malo, mit ca. 12 Metern rekordverdächtig. Alle sechs Stunden wird vor allem im Süden ein sehr breiter Streifen Küstenboden freigelegt.

Die Kanalinseln waren bis zur letzten Eiszeit Teil des kontinentalen Festlandes und wurden entsprechend früh besiedelt. Überall auf Jersey finden sich deshalb Überreste von steinzeitlichen Dolmen und Menhiren. Später gehörten die Inseln zu den Ländereien des Herzogs der Normandie, weshalb die geographischen Bezeichnungen zum weitaus größten Teil auf Französisch sind und bis vor wenigen Jahrzehnten ein normannischer Dialekt, das Jèrrais, gesprochen wurde. Als Wilhelm der Eroberer, Herzog der Normandie, nach 1066 englischer König wurde, gelangten die Inseln auch unter die englische Krone. Im 2. Weltkrieg wurden Jersey und die anderen Kanalinseln von 1940 bis 1945 von der deutschen Wehrmacht besetzt und zu einem Teil des Atlantikwalls ausgebaut.

Der Anflug von Düsseldorf mit Eurowings beträgt nach Jersey nur ca. 1 Stunde und 20 Minuten. Bei strahlendem Sonnenschein war die Insel somit schnell erreicht. Allerdings muß man in Deutschland und Jersey, da nicht EU, durch die Paßkontrollen gehen. Im Inselflughafen angekommen, gibt die dortige befindliche Werbung gleich einen Eindruck davon, womit auf der Insel hauptsächlich Geld verdient wird: Internet Security und Finanzdienstleistungen. Jersey ist ein bekannter Offshore-Finanzplatz.

Im Flughafengebäude nahmen wir ohne die sonst üblichen Diskussionen über Upgrades, Versicherungen usw. die Schlüssel für unseren Leihwagen in Empfang. Die Dame am Schalter entschuldigte sich sogar mehrfach bei mir dafür, daß sie - leider leider - nur noch einen Schaltwagen zum Verleih zur Verfügung habe. Ob ich denn, als Deutsche.... und dann mit links schalten??? Wie erleichtert war ihre Reaktion, als ich ihr von meinen Fahrerlebnissen in Australien, Mauritius, St. Lucia, Barbados, Zypern, Malta, Irland und natürlich Great Britain erzählte. Also hieß es ab sofort wieder "links fahren". Vorher mußten wir selbstverständlich die Uhren eine Stunde vorstellen auf GMT, Greenwich Mean Time. Der Weg zum Hotel war nicht weit, aber wir bekamen gleich einen Eindruck von der Inselstraßenwelt: sehr eng, sehr kurvig und definitiv nichts für Anfänger!

Nach nur kurzer Zeit erreichten wir unser zuvor gebuchtes Hotel Somerville oberhalb des kleinen Hafens von St. Aubin an der Südküste. Der Blick von hier ist wunderschön und erstreckt sich über das Halbrund der St. Aubin's Bay mit feinem Sandstrand bis hin zur Inselhauptstadt Saint Helier. Das Somerville ist ein historisches Hotel noch aus viktorianischer Zeit und die Erbauer bewiesen einen guten Geschmack in bezug auf die Auswahl des Standortes.

Am darauffolgenden Tag, nach einiger Zeit auf dem Liegestuhl in der Sonne, fuhren wir entlang der Küstenstraße in die Hauptstadt. Diese mutet sehr englisch an und verfügt über große Fußgängerzonen mit zahlreichen Geschäften. Direkt am Hafen findet sich das große Liberation Denkmal, denn die Inseln wurden erst am 9.5.1945 von der deutschen Besatzung befreit. Nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 waren die Kanalinseln für die Briten zu unbedeutend (und zu hochgerüstet) gewesen, um schon befreit zu werden. Insbesondere dieses letzte Jahr der Besatzung war für Einwohner und deutsche Truppen gleichermaßen extrem entbehrungsreich gewesen, denn beide Gruppen waren nunmehr vollständig vom Nachschub abgeschnitten.

Am nächsten Tag machten wir uns mit dem Auto auf den Weg nach Westen. Wieder ging es durch schmalste Sträßchen mit Mauern oder Hecken direkt am Fahrbahnrand. Gibt es Gegenverkehr, muß eines der Fahrzeuge unweigerlich zurücksetzen. Da die Inselbewohner aber außerordentlich rücksichtsvolle Fahrer und die Mietwagen alle deutlich gekennzeichnet sind, wird entsprechend aufgepaßt.

Am westlichen Ende der St. Brelade's Bay befindet sich oberhalb des Sandstrandes die traumhaft schöne St. Brelade's Parish Church und Fishermen's Chapel, beides aus dem 12. Jahrhundert und umgeben vom alten Friedhof und uralten Eichen. Wie Photos in der Kirche zeigen, war ein Teil des Friedhofs zu deutscher Zeit in einen "Heldenfriedhof" umfunktioniert worden. Dessen Toten wurden 1961 auf einen Friedhof bei St. Malo umgebettet.
Anschließend an den Besuch suchten wir den Beaufort Dolmen, fuhren uns aber am Inselgefängnis (!) fest und gaben die Suche auf.

Nach nicht sehr weiter Fahrt erreicht man ein weiteres touristisches Highlight der Insel: den Corbière Leuchtturm auf einem Felseninselchen, welches den äußersten Südwesten der Insel Jersey markiert. Am Festland direkt gegenüber befindet sich ein mehrstöckiger Betonturm, "Radio Tower" genannt und aus deutscher Zeit, wie auch diverse andere Betonrelikte in der unmittelbaren Umgebung. Diese sind Teil der Festung Corbière, der stärksten Infanteriefestung auf der Insel. Der Blick von hier auf die Steilküste und das Meer ist wunderschön!

Schwierig zu finden ist eine der ältesten Megalithanlagen aller Kanalinseln, La Sergenté, Luftlinie nicht weit vom Leuchtturm entfernt aber mit einem Fahrzeug schlecht erreichbar. Am besten parkt man am Strand La Pulente (wiederum mit Blick über den weitläufigen Sandstrand) und geht zu Fuß nach Süden, von wo aus von der Straße (in der Haarnadelkurve) eine provisorische Treppe auf einen Hügel führt. Schilder sucht man vergeblich und irgendwo oben auf dem Hügel befindet sich die kleine Megalithanlage aus der frühen Jungsteinzeit.

Unterhalb des Hügels mit dem Grab, erreichbar durch einen Fußweg, befindet sich eine deutsche Bunkeranlage, die man betreten kann. Aus den Geschützöffnungen hat man einen schönen Blick über das Meer, aber die verwinkelte Anlage macht auch den Eindruck eines Betongrabes. Nicht auszudenken, wie sich die hier stationierten Soldaten gefühlt haben müssen.

Weiter führte uns der Weg nach Norden entlang des weitläufigen Sandstrandes zur linken Seite. Rechts erstrecken sich die Dünen von Les Mielles mit einer besonderen Flora und Fauna. Beim Wetland Center direkt an der Straße ist ein Vogelschutzgebiet und entlang des Strandes finden sich zahlreiche Befestigungsanlagen verschiedener Größe aus deutscher Zeit. Sehr sehenswert ist das Channel Island Military Museum, untergebracht in einem Bunker, welches einen sehr guten Eindruck der Besatzungszeit gibt. Auf der Insel sind verschiedene Gruppen hochaktiv, die sich mit der Erkundung und Darstellung der zahlreichen deutschen Befestigungsanlagen auf der Inseln beschäftigen. Die Kanalinseln und allen voran Jersey wurden zu regelrechten Festungen als Teil des Atlantikwalls ausgebaut. Im Gegensatz zur ebenfalls befestigten Westküste Frankreichs sind - bis auf demontierte Metallteile - die gesamten Anlagen auf Jersey noch intakt und vermitteln ein eindrucksvolles Bild.

Der nächste Tag begann mit Regen, das Wetter klarte dann aber schnell auf und wir nutzten den Sonnenschein für eine Fahrt nach Nordwesten. In der Dorfmitte von St. Ouen, oberhalb der Sanddünen, befindet sich eine hübsche Dorfkirche mit umgebendem Friedhof von 1066. Parken sollte man etwas außerhalb des Ortes, da die Durchfahrt extrem eng ist. Am Ortsrand steht eine alte Windmühle auf einem Hügel, auf dessen Unterbau die Deutschen einen Aufbau aus Beton als Ausguck gesetzt hatten. Auf dem Weg zur Kirche passiert man Saint Ouen's Manor, ein Herrenhaus der Familie de Carteret, einer der einflußreichsten Familien der Insel. Von Haus und Gartenanlagen sieht man nur einen kleinen Teil, da das Areal ein Privatanwesen ist.

Unbedingt besichtigen sollte man, vorzugsweise an einem Tag mit guter Sicht, den äußersten Nordwesten der Insel. Hoch über den Klippen liegt die Ruine von Grosnez Castle von ca. 1330. Der Blick über das türkisblaue Meer zu den anderen Kanalinseln bietet Panoramaaussichten! Teilweise mit bloßem Auge aber besser noch mit einem Fernglas konnten wir zahlreiche Delphine auf Futtersuche im Wasser beobachten.
In unmittelbarer Nähe der Küste befindet sich eine Pferderennbahn.

Als absolut wild zeigt sich die Küste noch etwas weiter östlich. Bei Plémont Bay schneidet eine Art Canon in die Küste und über steile Treppenstufen gelangt man bis an das Wasser. Bei Ebbe muß es hier einen großartigen Sandstrand geben, der aber zur Zeit unseres Besuches völlig überschwemmt war. Da war es nur der Phantasie überlassen, sich ihn vorzustellen. Daß bei entsprechendem Wetter und Tidenhub einiger Badebetrieb herrschen muß, ließ die RNLI-Station oberhalb neben dem Café erahnen.

Sehenswert in zweifacher Hinsicht ist eine der Südspitzen von Jersey: Noirmont Point. Zum einen hat man von dieser Felsspitze aus einen grandiosen Blick nach Osten auf die St. Aubin's Bay mit Saint Helier, den weitläufigen Sandstrand und St. Aubin. Nach Westen schaut man auf die kleine, pittoreske Bucht von Portelet Bay. Zum anderen befinden sich hier, eben wegen der strategischen Lage, die Relikte der "Batterie Lothringen", einer Marineküstenbatterie aus dem 2. Weltkrieg, deren Bau 1941 begonnen wurde. Diese Bunkeranlagen waren mit vier Marinegeschützen bestückt, von denen sich nun zwei wieder am alten Ort befinden. Direkt nach dem Krieg hatte man sie demontiert und küstennah ins Meer geworfen. Auf Betreiben der Channel Islands Occupation Society und mit Hilfe der britischen Armee beförderte man zwei der Geschütze wieder zurück auf die Bunker. 1943 wurde die gesamte Anlage erweitert durch eine Marinepeilstand und Meßstellung. Diese diente zum Messung der Entfernung zu einem Ziel, welches mit der Artillerie beschossen werden sollte. Von den neun auf Jersey geplanten Einrichtungen wurden drei fertiggestellt: die am Noirmont Point und u.a. die bei Corbière. Allerdings trägt die Anlage am Noirmont Point als einzige noch die beindruckenden Eisenkuppeln.
Von Zeit zu Zeit ist die gesamte Anlage augenscheinlich auch von innen zu besichtigen. Zur Zeit unseres Besuches waren aber nirgendwo Öffnungszeiten in Erfahrung zu bringen.

Um uns auf andere Gedanken zu bringen, verbrachten wir den Rest des Nachmittages im unweit entfernten St. Brelade, in dem es eine Reihe von Einkaufsmöglichkeiten gibt.

Im Landesinneren, nördlich von St. Helier im landschaftlich schönen St. Peter's Valley, befindet sich die historische Wassermühle Moulin de Quétivel. Ursprünglich von 1309, stammt das heute sichtbare Gebäude aus dem 18. Jahrhundert und wird von Jersey Heritage unterhalten. An zwei Tagen die Woche ist das Gebäude für Vorführungen geöffnet.

Nur weniger Autofahrminuten von der Mühle entfernt liegt eine der Top-Sehenswürdigkeiten von Jersey, die War Tunnels. Hierbei handelt es sich um eine von den Nazis angelegte, sehr große unterirdische Tunnelanlage. Die korrekte Bezeichnung lautet Hohlganganlage 8, denn es gab mehrere auf der Insel. Ursprünglich sollte Nummer 8 als Munitionslager dienen, wurde aber mit der Kriegswende 1944 zum Lazarett umgebaut. Die Arbeiten verrichten Hunderte von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die unter erbärmlichsten Bedingungen unter Aufsicht der Organisation Todt die Gänge anlegen mußten. Noch heute verwendet man für den Betrieb der Anlage die alten deutschen Elektro- und Heizungsinstallationen, was für einen deutschen Besucher sehr seltsam anmutet.

Die Ausstellung in den Tunneln ist hervorragend nach dem neuesten Stand der Museumsdidaktik aufgebaut. Sie beginnt mit der Darstellung des Lebens auf Jersey vor der Besetzung, zeigt dann den deutschen Einmarsch und dessen Auswirkungen auf das Leben der Insulaner und der deutschen Besatzungssoldaten. Interessanterweise wird dem doch heiklen Bereich der Kollaboration mit den Besatzern und Denunziation der Bevölkerung untereinander breiter Raum eingeräumt - ein Thema, welches in so manchen anderen ehedem besetzten europäischen Ländern lieber totgeschwiegen wird. Für mich besonders spannend war der Vergleich der Ausstellung auf Jersey mit denen in Lviv / Ukraine, die ich vor einigen Monaten gesehen hatte.

In Jersey wird auch auf das Schicksal der Zwangsarbeiter eingegangen und mit zum eindrucksvollsten Teil der Ausstellung gehört eine Simulation in einem nie fertiggestellten Teil des Tunnelsystems, in dem die Arbeitsbedingungen für die Bauarbeiter - inklusive ohrenbetäubender Geräuschkulisse - nachgestellt werden. Selbstverständlich nicht fehlen darf die Geschichte der Beendigung der Besatzungszeit. Bewohner und Besatzer waren seit der Landung in der Normandie gleichermaßen von Nachschub abgeschnitten und dem Verhungern nahe. Dies führte zu dem aus heutiger Sicht wahnwitzigen Unternehmen, in dem die Inselbesatzung vom 8. auf dem 9. März 1945 nach Frankreich in das Städtchen Granville übersetzte, die dort anwesenden Amerikaner in einem Handstreich überrumpelte, Nahrungsmittel, Heizmaterial und deutsche Kriegsgefangene einlud und auf die Insel zurückkehrte. Diese Aktion wurde unter der Bezeichnung Handstreich auf Granville oder "The Granville Raid" bekannt.
Mit zum Tunnelmuseum gehört selbstverständlich auch ein Visitor Center, in dem man u.a. diverse Literatur zur Geschichte der Inselbesetzung kaufen kann.