Schon seit längerer Zeit gab es Überlegungen, meine russischen Freunde in Moskau zu besuchen, Ende August/Anfang September 2019 ging es dann los. Die Bedingungen waren bestens, denn über ganz Europa lag ein Hochdruckgebiet, das Deutschland 32 Grad bescherte und Moskau noch 25 Grad. Moskau war die bislang größte Stadt, die ich jemals besuchte. Mit offiziell 12,4 Millionen Einwohnern und inoffiziell sicherlich 15 Millionen ist sie nicht nur die größte Stadt sondern auch Agglomeration Europas. Daneben nehmen sich die von mir besuchten New York City und Bangkok mit 8,5 Millionen und London mit 8,1 Millionen recht bescheiden aus.
Moskau wurde 1147 das erste Mal schriftlich erwähnt und das Datum gilt seitdem als Gründungsdatum der Stadt, die wahrhaft kosmopolitisch ist, wie ein Blick auf die Menschen in den Straßen zeigt. Westeuropäische Gesichter wechseln sich ab mit denen aus den südlichen GUS-Staaten wie Usbekistan oder deutlich "sibirischen" wie solchen z.B. aus Kirgistan. Moskau ist unzweifelhaft das politische, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Zentrum Rußlands.
Los ging es mit Zubringerflug nach Frankfurt und von dort weiter mit einem A 321 der Lufthansa Richtung Moskau Domodedowo. Ganz wohl war mir beim Reisetermin nicht, denn in den letzten Wochen vor der Reise hatte es zahlreiche Demonstrationen für freie Wahlen in der Stadt gegeben, die auch eine gewisse Unzufriedenheit mit dem System Putin ausdrückten.
Der Flieger war leider etwas verspätet und so fand ich mich erst gegen 18 Uhr Ortszeit im Anflug auf die Metropole. Je näher wir der Stadt kamen, desto mehr ausgedehnte Datschensiedlungen waren bei strahlendem, wolkenlosen Himmel zu sehen.
Die Einreise und Durchgang durch den Zoll waren problemlos und automatisiert und es ging sehr schnell. Am Gate wurde ich bereits von meinem Freund Jegor erwartet, den ich noch aus Donezker Zeiten kannte und der mich freudig begrüßte. Das letzte Mal hatten wir uns zu Weihnachten in Deutschland gesehen. Über Handy App organisierte er ein Taxi und los ging es die immerhin 52 km in die Innenstadt über eine breit ausgebaute Hauptstraße. Durch einen Gürtel von Hochhaussiedlungen gelangten wir nach ca. einer Stunde flotter Fahrt über eine "Car Pool" Spur in die Innenstadt. Leider wurde es schon dunkel, als sich die ersten aus dem Reiseführer bekannten Gebäude aus der Stalinzeit, bestens illuminiert, zeigten.
Direkt hinter dem Zoo erreichten wir mein gebuchtes Appartement, nach einem Telefonat kam die Frau von der Vermietungsagentur mit dem Schlüssel. Durch eine recht russische Eingangstür mit elektronischer Sicherung gelangten wir in das auch typisch russische Treppenhaus mit einem, sagen wir malgewöhnungsbedürften Lift, der augenscheinlich später an das Haus angebaut worden war. Er hielt offenbar aus Kostengründen nur auf Zwischenetagen und so lernte ich, daß Knopf 5 für die 9. Etage galt. Nun gut. Von einem ebenfalls recht russischen Flur gingen drei Türen ab, von der eine zu meinem Appartement führte. Dies war renoviert, hatte neue Fenster und verfügte sogar über einen Balkon mit wunderschönem Ausblick auf den Zoo und Teile von Moskwa City, dem supermodern Hochhausviertel. Im Badezimmer lief allerdings ein heißes Rohr zur Trocknung von Handtüchern auf vollen Touren. Abstellen? Nein, das ginge nicht, dann stelle man das im ganzen Haus ab. Ich gehe davon aus, daß das heiße Wasser im Rohr auch bei 35 Grad Außentemperatur zirkuliert und die halbe Wohnung erwärmt. Ähnliche Erfahrung hatte ich bereits bei meiner ersten Kiewreise gemacht. Die Heizung im Moskauer Appartement hatte auch keine Ventile, wird mithin also auch zentral gesteuert. Schön, wenn es einen frühen Wintereinbruch gibt - und das Heizwerk nicht darauf reagiert. Erfreulich war, daß im Bad der obligatorische russische Toilettenpapiereimer fehlte. Sollte der nicht in Moskau nötig sein? Schnell wurde ich an anderen Orten eines bessern belehrt.
Mit Hilfe von Jegor füllte ich die Papiere aus, bezahlte den Preis plus Kaution und schon war die Vermieter-Dame verschwunden. Wir hingegen gingen noch mal hinunter in die Straße und Jegor zeigte mir die in unmittelbarer Nähe gelegenen zahlreichen Supermärkte und kleinen Restaurants. Die Wohnung lag wirklich sehr günstig. Vorbei kamen wir auch an einem offenen Container in einer Grünanlage. Hier wurde der Müll der umgebenden Häuser entsorgt. Vollständig ungetrennt wird er dann in die weitere Umgebung Moskaus gekippt. Die Umweltbelastung ist extrem, aber ein Ende dieser unseligen Praxis ist trotz vieler Diskussionen nicht in Sicht. Leider wird Umweltschutz in Rußland noch sehr klein geschrieben.
Pervers vor dem Hintergrund ist auch, daß man in Rußland grundsätzlich die Finger vom Leitungswasser zum menschlichen Konsum lassen sollte. Also schleppt jede Familie täglich Unmengen an Wasser in mehr oder minder großen Plastikbehältern in die Wohnungen, und die Flaschen fliegen dann millionenfach auf die Deponie.
Am Mittag des nächsten Tages war ich mit meinen Freunden zu einem ersten Ausflug in die Stadt verabredet. War es draußen erst noch kühl, wurde es schnell recht warm und sonnig mit sicherlich 25-26 Grad.
Um zum Treffpunkt zu gelangen, stand meine erste Fahrt mit der berühmten Moskauer Metro auf dem Programm. Jegor hatte mich dankenswerterweise mit einer wiederaufladbaren "Troika-Karte" ausgestattet und die Orientierung gestaltete sich einfach. Auffällig war, daß alle Beschriftungen auch in Englisch waren und auch die Durchsagen im Zug zu den Stationen waren zusätzlich auf Englisch. Tief ging es hinunter mit einer steilen und schnellen Rolltreppe und unten erwartete den Besucher sozialistischer Realismus. Nicht umsonst gibt es Führungen zu den am opulentesten ausgestatteten Stationen.
Die Metros kommen in sehr schneller Abfolge und flott war mein Ziel Oktyabr'skaya am Krimskij Wall erreicht. Nun konnte ich auch Natascha und die beiden kleinen Mädchen begrüßen, die seit unserem letzten Treffen Weihnachten schon wieder gewachsen waren.
Wir gingen die Ulitsa Bol'shaya Jakimanka ein Stück nach Norden zur französischen Botschaft. Dieses Haus (Große Jakimanka 43) wurde 1895 im Auftrag des Kaufmanns Nikolai Igumnow durch den Architekten Nikolai Posdeew, damals einer der bedeutendsten Architekten der Stadt Jaroslawl, errichtet. Das im Pseudorussischen Stil aus holländischen Ziegeln errichtete prachtvolle Gebäude ist heute ein Kulturdenkmal.
Zurück ging es zum Gorki Park mit seinem imposanten Eingangsportal von 1955. Der 1,2 km² große Park selbst stammt aus dem Jahre 1927 und war bei bestem Sonnenwetter am Sonntag stark besucht. Wir durchwanderten die extrem gepflegte Anlage nach Süden immer entlang des Flußufers der Moskwa, auf der reger Betrieb herrschte. Überall standen "Anreißer" und priesen Fahrten mit Ausflugsdampfern an. Wir entschieden und zu einer kürzeren Fahrt, die an der Novoandreyevskiy Most startete. Nun ging es auf dem Schiff wieder entlang des Gorki Parks, vorbei an einem relativ neuen, überdimensionierten und nicht unumstrittenen Denkmal für Peter den Großen. Es zählt zu den höchsten Statuen der Welt
Kurz darauf auf einer Insel im Fluß passiert man die ehemalige Süßwarenfabrik Krasnyy Oktyabr', die auch die bekannt Aljonka Schokolade herstellt (nun allerdings an anderer Stelle). Immer, wenn ich das niedliche lachende Kindergesicht auf der Verpackung sehe, muß ich an meine erste Reise nach Donezk denken, wo ich verzweifelt ein "typisches" Mitbringsel suchte - und in der Schokolade fand.
Auf der linken Flußseite, direkt am Ufer, sahen wir die goldenen Kuppeln der Christ Erlöser Kathedrale im Sonnenlicht glänzen. Sie gilt als das zentrale Gotteshaus der Russisch-Orthodoxen Kirche und gehört mit 103 Metern zu den höchsten orthodoxen Sakralbauten weltweit. Die Kathedrale wurde ursprünglich 1883 erbaut, während der Stalin-Diktatur 1931 zerstört und von 1995 bis 2000 weitestgehend originalgetreu wiederaufgebaut.
Kurz darauf erschienen die Mauern des Kreml mit den verschiedenen Türmen und dann sah man schon den imposanten Großen Kremlpalast mit grünem Dach aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Er diente ursprünglich als die Moskauer Hauptresidenz des Zaren und der Zarenfamilie. Heute gehört der Große Kremlpalast zum Dienstgebäudekomplex des russischen Präsidenten. Gut konnten wir auch die anderen Gebäude der Anlage sehen und kurz darauf kamen die prägnanten bunten Kuppeln der berühmten Basilius Kathedrale ins Blickfeld, die ja in keinem Hintergrund eines Fernsehkorrespondenten fehlen darf.
Das Schiff stoppte am Park Zaryadye, der erst vor wenigen Jahren auf dem Gelände des ehemaligen Hotels Rossija angelegt wurde. Gut sichtbar von hier war einer der sieben "Wolkenkratzer", erbaut im Zuckerbäckerstil, auch "Stalinfinger" oder "Sieben Schwestern" genannt. In dem Park wurden die aus den verschiedenen Vegetationszoen Rußlands stammenden Pflanzen gepflanzt. Angrenzend finden sich einige der ältesten Steinbauten des Kitai-Gorod, der Moskauer Altstadt, unter ihnen Baulichkeiten des alten Zarenhofs, erbaut zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert, das Haus des Bojaren Romanow, die Annen-Kirche aus dem 15. Jahrhundert und der Alte Englische Hof aus dem frühen 16. Jahrhundert.
Vorbei ging es an Gostinyy Dvor, innen mit Geschäften und einem riesigen Veranstaltungsraum und Arkaden, zur berüchtigten Lubjanka. Diese war von 1920 bis 1991 Hauptquartier, zentrales Gefängnis und Archiv des sowjetischen Geheimdienstes in Moskau. Heute beherbergt die Lubjanka den russischen Inlandsgeheimdienst FSB.
Nun befanden wir uns in der Fußgängerzone Nikolskaya ul., die von der Lubjanka zum Revolutionsplatz führt und mit kitschigen, über der Straße hängenden Lämpchen und durchsichtigen Schneemotiven geschmückt war. Embleme an Häusern zeigen bis heute: alle Bewohner hatten in den 1930er Jahren erfolgreich eine militärische Ausbildung erhalten. Weiter ging es zum berühmten Kaufhaus Gum. Der 250 Meter lange und 88 Meter breite Innenraum des Gebäudes beherbergt auf drei Etagen rund 200 separate, unterschiedlich große Ladenlokale entlang dreier glasbedachter Längspassagen ("Linien") und dreier Querpassagen sowie der über ihnen beidseitig gelegenen, durch Brücken miteinander verbundenen Galerien in den beiden Obergeschossen. Das Gebäude vom Ende des 19. Jahrhunderts ist heute ein Warenhaustempel, der wirklich keine Wünsche offenläßt. Interessanterweise beherbergt er neben diversen anderen Restaurationen auch die sowjetische Retro-Gastronomie Stolovaya no 57, vor der sich eine lange Schlange bildete. Nicht nur das Interieur ist "sowjetisch" sondern auch das Essen.
Für die Kinder machten wir einen Stop auf dem Revolutionsplatz, auf dem sie kostenfrei Karussell fahren konnten. Wir aßen derweil einen Happen an einem der zahlreichen Eßstände. Vorbei ging es am 5-Sterne Hotel Metropol mit Jugendstilfassade und Relikten der sowjetischen Beschriftung und schon standen wir vor dem weltberühmten Bolschoi Theater. Durch seine außergewöhnliche Architektur im Stil des russischen Klassizismus gehört das Gebäude heute zu den schönsten Theaterbauten der Welt.
Direkt daneben befindet sich ein weiterer Konsumtempel, das Tsum. Weiter an der Petrowka ul. finden sich Filialen aller internationalen Geschäftsketten, Juweliere usw., die einen exquisiten Klang haben. An der Straße passierten wir auch ein großes Bürogebäude mit dem Namen "Berliner Haus". Nicht fehlen auf dem Rundgang durfte ein Abstecher zu Jelissejew in der Twerskaja-Straße. Der Feinkostladen war mir schon aus St. Petersburg bekannt und das Moskauer Pendant zählt zweifelsohne zu den edelsten Lebensmittelgeschäften der Stadt. Edel ist aber nicht nur das Angebot, sondern auch das Interieur des Ladens.
An einer Straße sahen wir Häuser mit Sockeln aus auffälligem roten Natursteinen. Jegor erzählte, die Wehrmacht habe vor Moskau diese Steine aufgestapelt, um nach dem "Endsieg" über die Sowjetunion ein riesiges Denkmal aufzubauen. Bekanntermaßen wurde ja nichts aus diesem Ansinnen. So wurden die Steine später in diversen Bauten wie diesen hier als Sockel eingesetzt. Leider kann ich den Wahrheitsgehalt dieser Geschichte nicht nachprüfen.
Am Ende unserer Tour fuhr ich von der Metro Puschinkskaya wieder zum Appartement. An den gleichnamigen Platz mit einem Denkmal des Schriftstellers saßen an dem lauen Abend zahlreiche Menschen. Mir fiel das große Gebäude der Nachrichtenagentur Iswestija ins Auge. Diese wurde ja zur Zeiten des Kalten Krieges ständig in den Nachrichten zitiert und hat augenscheinlich den Sprung in die "neue" Zeit geschafft.
Am nächsten Tag, mit 24 Grad und einiger Bewölkung, war es deutlich kühler als am Vortag. Ich beschloß, den Kreml zu besuchen. Schnell erreichte ich mit der Metro die Innenstadt. Auf dem Roten Platz waren große Abbauarbeiten im Gange und es gab leider noch umfangreiche Absperrungen. Auf einem Plakat las ich den Grund: am letzten Wochenende hatte hier eine große Militärmusikschau stattgefunden und auch noch andere Attraktionen. U.a. war Mireille Matthieu aufgetreten und es hatte wohl eine Reitshow gegeben. Durch die ganzen Tribünen usw. war auch der Zugang zum Lenin-Mausoleum abgesperrt. Ich wandte mich nach rechts, vorbei am Historischen Museum der Stadt, einem imposanten Gebäude, und folgte den Heerscharen von chinesischen Touristen. Dieses sind in bezug auf Tourismus augenscheinlich die neuen Japaner.