Mitte Mai 2018 starteten wir für eine zweiwöchige Reise in die Hauptstadt Spaniens, Madrid. Madrid ist mit 3,2 Millionen Einwohnern die größte Stadt des Landes und im gesamten Agglomerationsraum leben ca. 6 Millionen Menschen.
Madrids Historie ist verglichen mit vielen anderen Städten, auch in Spanien, nicht sehr lang. Im 9. Jahrhundert bestand hier nur ein militärischer Außenposten des maurischen Reiches, dessen Hauptstadt in Córdoba lag. Bedeutung erlangte der Ort erst 1561, als der spanische König vom nahegelegenen Toledo nach Madrid umzog. Dies führte zu einem regelrechten Bauboom und die Stadt wuchs stark. Bis etwa um die Mitte des 17. Jahrhunderts hatte die Stadt eine Struktur erreicht, die sie für 200 Jahre behalten sollte. Einen weiteren Entwicklungsschub erlebte Madrid mit der industriellen Revolution, als Wohnraum für die zahlreichen Arbeiter geschaffen werden mußte. Auch Franco und postmoderne Architekten hinterließen Spuren.
Madrid ist nicht weit von Deutschland entfernt. Via Zubringerflug nach München erreichten wir die spanische Hauptstadt in 2,5 Stunden mit einer vollbesetzten Maschine der Lufthansa. Kein Wunder, denn wir waren nicht die einzigen, die das lange Pfingstwochenende zu einem Start in den Urlaub nutzten.
Von Flughafen aus waren wir mit dem Taxi in etwa 30 Minuten in unserem gebuchten Hotel, dem Villa Real am Plaza de las Cortes, angekommen. Das Hotel ist schön im klassischen Stil gehalten und wir erfreuten uns noch am gleichen Abend an unserer Patio hoch über den Dächern der Stadt. Der Blick aus dem 5. Stock ist bestechend, denn das Hotel liegt direkt gegenüber dem Palacio del Congreso, dem spanischen Parlament. Etwa 100 Meter entfernt ist das berühmte Museum Thyssen-Bornemisza und vis-à-vis das abends schön beleuchtete historische Gebäude der Versicherung PlusUltra.
Da der nächste Tag ein Sonntag war, stand selbstverständlich ein Ausflug zum berühmten Flohmarkt El Rastro auf dem Programm. Nahe der U-Bahn Station La Latina bauen tausende (!!) von Händlern ihre Stände auf. Als Flohmarkt, wie im Reiseführer beschrieben, würde ich die Veranstaltung aber nur bedingt, sondern mehr als Markt bezeichnen, denn bei dem überwiegenden Teil der angebotenen Waren handelte es sich um neue Produkte.
Da uns der Markt so gut gefallen hatte, besuchten wir ihn auch nochmals am darauffolgenden Sonntag. Unter anderem ist er auch - auch deutscher Sicht - eine Fundgrube für den Kauf von Leder und Lederprodukten. Dies hat historische Gründe, denn die ebenfalls zum Flohmarkt gehörende Ribera de Curtidores heißt übersetzt Ufer der Gerbereien und El Rastro bezeichnet einen Pfad. Dieser Pfad führte in früheren Zeiten vom Schlachthaus in der Nähe zu den Gerbereien. Heute wird
Leder als Reststücke oder ganze Häute in jedweder Zurichtung angeboten, ebenso Lederbearbeitungswerkzeuge. Händler bieten Unmengen an Ledergegenständen wie Taschen, Gürtel usw. an. Dies verwundert nicht, denn nach Italien ist Spanien in Europa (vor Deutschland) der drittgrößte Lederhersteller in Europa (2018: 99 Gerbereien. In Italien: über 2000, in Deutschland: weniger als 80)
Unbedingt wert ist der Besuch von drei Reitsportgeschäften auf der Straße, und das sicher nicht nur für Reitsportinteressierte. Die Geschäfte haben einen herrlich antiquierten Charme, im hinteren Bereich wird Leder verkauft und es werden Reparaturen an Lederprodukten durchgeführt. Die Preise für die Lederartikel liegen sehr unter denen in Deutschland. Kein Wunder, daß der Händler des ältesten Madrider Reitsportgeschäftes erzählte, er würde seine Produkte weltweit versenden.
Unsere ersten Streifzüge durch die Stadt führten uns durch die nahe dem Hotel gelegenen Viertel Cortes und Huertas. Seitdem die gesamte Altstadt verkehrsberuhigt wurde und es nur noch Zugang für Taxis und Anwohner gibt, kann man wunderschön entspannt durch die Straßen schlendern. Huertas ist ein historischer Stadtteil in dem früher bekannte Literaten lebten und wo sich heute Café and Café und Restaurant an Restaurant reiht. In die Straßen eingelassen sind Zitate bekannter Schriftsteller und abends brodelt hier das Nachtleben. Da Spanier in der Regel erst sehr spät zu Abend essen (deutlich nach 21 Uhr), hat man hier als "normaler" Tourist die Möglichkeit, auch früher zu essen. Zentraler Punkt des Viertels ist der Plaza de Santa Ana, flankiert vom Teatro Español vom 1802 und einem in weißer Farbe alles überstrahlenden Hotel mit hohem Turm von 1923. Der Plaza ist vollgestellt mit Tischen und Stühlen der zahlreichen angrenzenden Bars und hier läßt es sich bequem sitzen und Menschen beobachten. Nur wenige Schritte entfernt ist das Ateneo de Madrid, ein Interlektuellenklub.
Leider wurde ich im Viertel - wie bereits in Italien - auch hier Opfer einer Briefmarken-Abzock-Masche. Ich kaufte einige Postkarten und benötigte dazu auch Briefmarken. Ehe ich mich versah, drehte mir der Verkäufer Aufkleber eines privaten Postdienstleisters an: "Easy Post". Ich wunderte mich erst nur über den doch sehr hohen Preis für Postkarten und Briefmarken. Ein späterer Blick auf die Aufkleber offenbarte das Ärgernis. Genau wie in Italien werden dummen Touristen solche Klebchen untergeschoben, der Preis ist mindestens doppelt so hoch wie bei regulärer Post (typischerweise ist er auf die Aufkleber nicht aufgedruckt) - und die Laufzeit der Postkarten um mindestens das dreifache erhöht. Eine Karte aus Italien war sogar 3 Monate unterwegs!! Absolut ärgerlich, daß diesem Treiben kein Ende gesetzt wird.
Auffällig im Viertel sind die zahlreichen kleinen "Super"märkte, die von Lebensmitteln über Gegenstände des Alltags - alles grob einsortiert - feilbieten. Diese Läden sind fest in chinesischer Hand und haben bis Mitternacht geöffnet. Die ganz kleinen Kioske hingegen gehören eher Bangladeshis.
Die Architektur des Viertels ist einheitlich und in Deutschland würde man sie als gründerzeitlich bezeichnen - oft mit kleinen französischen Balkonen und 3-4 Stockwerken. Auffällig ist die Sauberkeit der Straßen und die fehlenden Graffiti an den Wänden. Wie schlimm hingegen sah es in Neapel aus!
Einen Tag nutzten wir zum Besuch des nahe gelegenen Museums Thyssen-Bornemisza. Diese Privatsammlung wurde 1993 von dem Magnaten (unter Einfluß seiner spanischen Ehefrau) an den spanischen Staat verkauft und bietet auf drei Etagen einen Querschnitt durch die europäischen und US-amerikanischen Stilepochen. Unvorstellbar, daß nur eine Familie eine solche Sammlung zusammentragen konnte.
Tip am Rande: Montag nachmittags ist der Eintritt in das Museum komplett gratis, und trotzdem hält sich der Besuchandrang in Maßen.
Vom Museum aus sieht man bereits den großen Neptunbrunnen, um den herum der Verkehr des Paseo del Prado braust. Der Rundverkehr ist auf fast allen Seiten von großen Hotels flankiert (das berühmte Ritz befand sich z.Zt. unseres Aufenthaltes gerade in einem kompletten Umbau).
In wenigen Schritten erreicht man das weltberühmte Museum Prado, sicherlich eines der weltbekanntesten und renommiertesten Museen der Welt. Da die Zeit schon fortschritten war, hinterquerten wir das große Gebäude. Dort befindet sich die Igelesia de San Jerónimo el Real, eine der ältesten Kirchen der Stadt vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Bald erreicht man den am Südende des Prado gelegenen botanischen Garten mit Spezien, die aus allen Teilen des einst riesigen Kolonialreiches hierhin geschafft worden waren.
Am Ende des botanischen Garten sieht man bereits die wuchtige Front des Bahnhofs Atocha von 1889, besser besagt: des einstigen Bahnhofs, denn in seinem gußeisernem Innern wurde ein Garten angelegt. Biegt man um die Ecke, erreicht man die sogenannte Bücherstraße, die Calle Claudio Moyano, in der in hölzernen Buden gebrauchte Bücher angeboten werden.
Nach nur kurzem Wege erreicht man den Parque del Buen Retiro, 130 ha groß und im 17. Jahrhundert angelegt als Erholungsort für Adel und Königshaus.
An einem Tag schlug mittags das Wetter um: dunkle Wolken zogen auf und da es am Abend zuvor heftig gewittert hatte, entschlossen wir uns erst einmal zu einem kurzen Gang in Hotelnähe. Schnell waren wir entlang des Paseo del Prado am Plaza de Cibeles angekommen, einem verkehrsumtobten Platz mit einem schönen Brunnen von 1782 in der Mitte. Die Banco de España nimmt den gesamten Häuserblock an der Südwestecke in Beschlag und besticht durch seine Monumentalität. Biegt man nach Westen in die Calle de Alcalá ab, sieht man von weitem schon eines der schönsten Gebäude der Stadt, das Metropolis mit der prägnanten Kuppel. Mich erinnerte das Gebäude sofort an das Singer Gebäude in St. Petersburg am Newski Prospekt. An der längsten Straße Madrids stehen neben dem Metropolis noch weitere sehr bemerkenswerte Gebäude: so das Circolo de bellas Artes, einige Ministerien und die Real Academia….
Folgt man der Straße, gelangt man bald auf den zentralen Platz der Stadt, dem Puerta del Sol. Von hier aus werden alle Entfernungen in Spanien gemessen und diverse Straßen zweigen sternförmig ab. Imposant sind auch das riesige Reiterstandbild von König Carlos III. und die Figur eines an einem Erdbeerbaum naschenden Bären - dem Wahrzeichen der Stadt.
Der Platz ist ein Touristenmagnet: hier finden sich Artisten und Musiker aller Couleur sowie massenweise Schwarzafrikaner, die auf raffiniert drapierten Tüchern gefälschte Markenfabrikate, vor allem Handtaschen und Fußballtrikots, anbieten. An jeder Tuchecke ist ein Seil befestigt, dessen Enden der Verkäufer in Händen hält. Im Falle einer Razzia zieht man an den Seilen, das Tuch samt Ware faltet sich zusammen und der Verkäufer gibt Fersengeld.
Wir schlenderten durch die Straßen, in denen sich Geschäft an Geschäft reiht. Angenehm aus der Masse heraus sticht ein alteingesessenes Geschäft für Fächer und Regenschirme direkt am Puerta del Sol, welches mit dem wunderbaren Spruch im Schaufenster "Morgen wird es regnen" wirbt.
Wie ließen den Tag bei einem Besuch im bekannten Kaufhaus El Corte Inglés ausklingen.
Am nächsten Tag wurden wir, wie schon am Tag zuvor, auf eine große Demonstration aufmerksam. Demonstrierten am vorherigen Tage eine Gruppe von Menschen gegen die steigende Armut der spanischen Bevölkerung, so war es am heutigen die Polizei- und Feuerwehrgewerkschaft, die mit Lokalgruppen aus dem ganzen Lande am Parlament vorbei zog. Welche Bedeutung die Demo hatte, konnte man am großen Polizeiaufgebot ablesen, welches das Parlament schützte.
Über die Carrera de San Jerónimo schlenderten wir zur Puerta del Sol und von dort zum wunderschönen Plaza Mayor. Entstanden im 15. Jahrhundert durch die Kreuzung diverser Straßen war hier ein Markt entstanden. Heute ist der Markt rundherum von dreigeschossigen Wohnhäusern umschlossen und auf dem Platz selbst findet lebhaftes Treiben statt. Zahlreiche Lokale haben Tische und Stühle aufgebaut und fliegende Händler, vor allem wieder Schwarzafrikaner, bieten ihre Waren feil. Die Polizei sieht dem Treiben weitgehend tatenlos zu. Taucht ein Polizist auf, raffen die Afrikaner wie auf Kommando ihre Sachen zusammen, warten einen Moment, und breiten sie sofort wieder aus, wenn der Polizist außer Sichtweite ist. Befremdlich ist, daß hier nicht eingegriffen wird, wir aber mehrfach Zeuge davon wurden, wie die Polizei an verschiedenen Stellen der Stadt mit großem Aufgebot Straßenmusiker regelrecht "hochnahm". Ganz offensichtlich wird hier von offizieller Seite mit zweierlei Maß gemessen. Merkwürdig, da die Afrikaner, die wir später auch in anderen Stadtteilen sahen, ganz augenscheinlich zentral gesteuert mit völlig identischen Waren ausschwärmen.
Später las ich im Internet, daß es sich bei diesen Manteros (von span. "Decke") genannten Menschen fast ausschließlich um illegal im Lande befindliche Senegalesen handelt und die Behörden in allen Städten des Landes von laissez-faire bis restriktiv handeln. Oft wird von legalen Händlern oder Restaurantbesitzern Druck auf die Stadtverwaltungen ausgeübt, das Treiben zu beenden, da sie mit den nicht-Steuern und Abgaben zahlenden Afrikanern nicht konkurrieren können. Ein Ende des illegalen Treibens ist allerdings nicht in Sicht, weil augenscheinlich Spanier mit den chinesischen Lieferanten der Plagiate verbandelt sind und sich zudem immer wieder Käufer für die Fälschungen auf der Straße finden...
Mit größter Wahrscheinlichkeit zentral gesteuert sind auch die buchstäblich an jeder Häuserecke in der Madrider Innenstadt auftretenden bettelnden Roma. Auch hier ergab eine Internetrecherche einen Hinweis: nur 12 Kilometer außerhalb der spanischen Hauptstadt befindet sich ein nur mit Roma bewohntes Slum, welches sicher niemand in Mitteleuropa vermuten würde. Eine Bildersuche mit dem Begriff "El Gallinero Madrid" fördert Aufnahmen zu Tage, die aus den schlimmsten Bereichen Lateinamerikas stammen könnten. In der spanischen Presse wird intensiv über das Slum und die Probleme mit der "Bettelmafia" sowie den zahlreichen minderjährigen Kindern dort berichtet.
Nur wenige Schritte von der Plaza Mayor erreicht man den Mercado de San Miguel, eine schöne Markthalle aus einer Eisenkonstruktion vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier werden in der Tat nur Qualitätsprodukte auf höchst attraktive Art und Weise angeboten. Ein Stück weiter auf der Calle Mayor passiert man den kleinen aber sehr hübschen Plaza de la Villa, umgeben von barocken Gebäuden aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Schnell erreicht man die breite Straße Calle de Bailén, auf deren westlichen Seite sich die Reste der maurischen Stadtmauer befinden. Diese sind eingebettet in den Parque del Emir Mohamed I. und nicht wirklich spektakulär anzuschauen, aber für die Geschichte der Stadt von essentieller Bedeutung.
Überstrahlt wird der kleine, unscheinbare Park von der riesigen Kathedrale, die auf den ersten Blick einen historischen Eindruck macht, in Wirklichkeit aber erst 1993 von Papst Johannes Paul II. eingeweiht wurde.
Etwas nördlich der Kathedrale grenzt der Palacio Real an, der Königspalast. Nach der Zerstörung der Alcazar durch einen Brand 1734 begann man hier mit dem Bau eines neuen Palastes für das Königshaus, welcher 1764 beendet wurde. Der Palast zählt über 2000 Räume und ist ein typischer Barockbau im Stile der Zeit. Ein Besuch lohnt sich durchaus, wenngleich vor allem der Thronsaal durch seine - im Vergleich mit anderen Prachtbauten der Epoche - geringe Größe überrascht. Der Saal wird heute bei protokollarischen Ereignissen immer noch genutzt. Durchaus imposanter ist der Speisesaal für 144 Personen.
Attraktiv stellt sich auch der direkt neben dem Königspalast gelegene Plaza de Oriente dar, der z.Zt. der Regentschaft des französischen Statthalters entstand. Von dort aus gelangt man über die geschäftige Calle de Arenal wieder zurück zum Puerta del Sol.