Eine Reise nach Dorset

Nachdem ich früher häufiger in Großbritannien Urlaub gemacht hatte und mir ein Aufenthalt in Dorset im Jahre 1983 in bester Erinnerung geblieben war, entschlossen wir uns, im Juli 2017 der Grafschaft einen erneuten Besuch abzustatten.
Als vorteilhaft erwies sich der Umstand, daß die Fluggesellschaft Flybe täglich von Düsseldorf nach Southampton fliegt und wir damit das leider immer mehr terrorgefährdete London umgehen konnten. Als stationäres Ziel wurde Bournemouth direkt an der Kanalküste ausgesucht.

Spät Freitag abends starteten wir mit fast einer Stunde Verspätung und erreichten nach etwa 1,5 Stunden Flug mit einer kleinen Turbopropmaschine Southampton. Wegen der späten Stunde war es leider unmöglich, den Flug über den Kanal aus dem Fenster zu sehen.

Wie auch in Deutschland herrschten in Großbritannien noch angenehme hochsommerliche Temperaturen und als erstes nach der Landung mußten wir unsere Uhren eine Stunde zurückstellen auf Greenwich Mean Time. Am Leihwagenschalter gab es die im Business scheinbar weltweit übliche Feilscherei mit dem Angestellten über Zusatzpakete und Upgrades und es dauerte eine Weile, bis wir endlich im Auto saßen. Leider war es inzwischen schon stockdunkel und wir hatten noch eine gute Stunde Fahrt bis an die Kanalküste vor uns. Von nun an hieß es zudem "keep left" und ich mußte mich extrem auf den für die Uhrzeit sehr dichten Verkehr konzentrieren.

Endlich erreichten wir das vorab gebuchte Marriott Highcliff Hotel, dessen Name Programm ist, denn es liegt in der Tat hoch über der Steilküste von Bournemouth. Aus dem historischen Hotel hatten wir einen bestechenden Blick auf den über dem Meer aufgehenden Vollmond.

Bournemouth

Bournemouth war bis zu den napoleonischen Kriegen ein verschlafenes Küstennest. Dies änderte sich im 19. Jahrhundert mit dem Bau einiger Villen, die an Tuberkoloseerkrankte vermietet wurden, welche sich von der Seeluft Heilung versprachen. Zudem herrschte und herrscht immer noch in der Gegend das wärmste, trockenste und sonnigste Wetter von ganz Großbritannien. Nachdem 1838 das erste Hotel errichtet wurde, nahm der Ort einen Aufschwung. Zu dieser Entwicklung trugen der Bau eines Piers und der Anschluß an die Eisenbahn entscheidend bei. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war Bournemouth bereits ein überregional bekannter Bade- und Erholungsort und die Entwicklung setzte sich auch in der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg fort.

Die ersten Urlaubstage verbrachten wir bei traumhaftem Wetter von 25 Grad und strahlendem Sonnenschein am Hotelpool und mit der Besichtigung der Stadt. Schnell wurde mir klar, daß die Beschreibung im englischen Reiseführer vom bunten Treiben rund um den Bournemouth Pier als "cheap and cheerful" mehr als treffend war. Heerscharen von fast ausschließlich britischen Touristen tummelten sich am kilometerlangen, feinsandigen Strand, am Pier und der vorgelagerten Vergnügungsmeile. Leider handelte es sich bei dem Publikum zu einem großen Teil um Personen, wie man sie in den USA häufiger in Walmart antrifft….

Direkt am Pier beginnt eine schöne Parkanlage, die sich in die Innenstadt zieht. Letztere besteht zu einem großen Teil aus Fußgängerzonen mit einer Vielzahl von internationalen wie auch einheimischen Geschäften (Marks and Spencers, Beales…). Bournemouth bietet, abgesehen vom spektakulären Sandstrand, wenige Sehenswürdigkeiten. Eine Ausnahme ist die direkt an der Steilküste gelegene Russel-Cotes Villa. Erbauer des 1901 fertiggestellten Gebäudes war der Besitzer des unmittelbar danebenliegenden Royal Bath Hotels und ehemalige Bürgermeister der Stadt Merton Russel-Cotes. Er und seine Frau waren passionierte Weltreisende und Sammler und füllten sowohl Hotel als auch Anwesen mit ungezählten Preziosen. Ergebnis ist ein viktorianisch überbordendes Interieur, welches heute als Museum dient.

Isle of Purbeck

Einen Ausflug unternahmen wir auf die Isle of Purbeck. Die schnellste Zuwegung führt über die zur Stadt Poole gehörende Halbinsel Sandbanks, deren Immobilienpreise unglaublicherweise zu den höchsten der Welt gehören. Für einige Pfund wird man mit der Autofähre in wenigen Minuten über die schmale Hafeneinfahrt von Poole gebracht. Pool hat nach Sydney den größten Naturhafen der Welt und ständig sieht man Fähren zur Isle of Wight, den Kanalinseln oder dem französischen Cherbourg die Schmalstelle passieren.

Auf der Isle of Purbeck ist man auf einmal in einer anderen Welt, nämlich dem ländlichen Dorset. Unser erstes Ziel war das schon weitem gut sichtbare Corfe Castle, eine der schönsten Burgruinen Englands aus dem 11.-12. Jahrhundert stammend. Niemals eingenommen wurde es auf Befehl des House of Commons 1646 in die Luft gesprengt. Am Fuße der pittoresken Ruine, die im Besitz des National Trust ist, befindet sich das nicht minder sehenswerte Dörfchen gleichen Namens mit malerischen Gassen und Häusern aus Stein und aufwendigem Blumenschmuck.

Über an beiden Seiten von Hecken bestandenen Sträßchen erreicht man nach wenigen Kilometern den traditionellen, kleinen Badeort Swanage mit breitem Sandstrand. Ein Stop lohnt sich zum Betreten des aus viktorianischer Zeit stammenden, weit in die Bucht reichenden Stegs, der früher zum Verladen der Quader aus den zahlreich auf der Halbinsel vorhandenen Steinbrüchen diente. Von Pier aus hat man einen guten Blick auf die Bucht und vor allem auch auf die weiße Steilküste.

Sehr gut sichtbar waren Old Harry Rocks, zwei im Meer stehende Kreidesäulen, die wir auch aus unserem Hotelfenster sehen konnten. Die Gesteinsformatation bildet den östlichen Endpunkt der Jurassic Coast, einem etwa 150 km langen Küstenstreifen, der mittlerweile zum Weltnaturerbe erklärt wurde. Von Westen kommend zeigt sich an der Küste die geologische Gesteinsabfolge von Trias (rote Sandfelsen in Devon), Jura (West Dorset) und Kreide (weißer Kalkstein bei Swanage).

Durch eine agrarisch genutzte, hügelige Landschaft fuhren wir weiter nach East Lulworth und statteten dem dortigen Lulworth Castle aus dem Jahre 1610 einen Besuch ab. Durch das schöne West Lulworth erreichten wir einen der bekanntesten Orte der Region: Lulworth Cove. Die Häuseransammlung bietet trotz des riesigen Parkplatzes, des Heritage Centres und der Touristenströme immer noch etwas den Charme eines Fischerdorfes, welches es ursprünglich war. Ziel aller Besucher ist die berühmte, kreisrunde Buch, die in keiner Beschreibung Dorsets, wenn nicht gar Englands, fehlen darf. Ihre Herkunft verdankt die Bucht einer eingebrochenen Karsthöhle, die sich mit Meerwasser füllte und immer weiter erodierte. Wenig erstaunlich ist beim Anblick der Bucht, daß diese über die Jahrhunderte als Schmugglerversteckt diente! Empfehlenswert ist auch eine kurze Wanderung zum im Meer stehenden Felsbogen Durdle Door.

Ein altes Schmugglerversteck war auch das westlich gelegene Osmington Mills. Meinen Augen traute ich nicht, als ich dort das altvertraute Pub Smugglers Inn sah. Im glutheißen Sommer von 1983 waren wir unzählige Male am (Fels-)Strand von Osmington gewesen, um im Kanal zu schwimmen und im Smugglers Inn einzukehren.

Weymouth, Isle of Portland

An einem Tag entschlossen wir uns zu einer Tour erneut in Richtung Westen von Bournemouth. Da wir bei unserem letzten Besuch von Osmington keine Zeit mehr gehabt hatten, schauten wir uns diesmal das in den Berg gehauene Abbild von König George III. an. An einem Hügel hat man 1808 zu Ehren des Königs das Gras entfernt und somit in weißem Kalkstein die Silhouette des Herrschers zu Pferde sichtbar gemacht.

Weiter ging es Richtung Weymouth, zum Jordan Hill Roman Temple, kleinen unscheinbaren Grundmauern eines aus dem 4. Jahrhundert stammenden Römertempels. Wunderschön ist der Blick vom Tempel auf die Bucht von Weymouth und die Isle of Portland. Unweit des Tempels, am nördlichen Ende der Bucht von Weymouth, sticht das in blau-weiß gehaltene Riviera Hotel ins Auge. Es stammt aus den 1930er Jahren und wurde im Art Deco Stil erbaut. Seine besten Tage hat die Anlage anscheinend bereits erlebt und der billige Jahrmarkt in unmittelbarer Entfernung paßte leider ins Bild.

Schnell erreichten wir von dort aus das Seebad Weymouth mit seiner 3 km langen Bucht samt feinem Sandstrand. Die Bucht ist gesäumt von georgianischen Häuserreihen, denn seit 1789 kam König George III. diverse Mal in die Stadt, um sich zu erholen und sich mit einem zur damaligen Zeit modernen Badekarren ins Meer ziehen zu lassen. Der König machte den Ort bekannt und ihm zu Ehren wurde an der Promenade ein nicht zu übersehendes Denkmal errichtet. Direkt daneben findet sich der restaurierte Badekarren des Monarchen. In der Mitte der Promenade steht die frisch vergoldete Jubilee Clock von 1887, errichtet zum 50jährigen Thronjubiläum von Queen Victoria, ihr selbst wurde unweit ein eigenes Denkmal gesetzt. Einen Eindruck von der verflossenen Eleganz des Ortes vermittelt auch das zentral gelegene Royal Hotel, heute Bay Royal, erbaut 1897-99 im Stile so vieler Grandhotels der Jahrhundertwende. Leider ist das Hotel heute flankiert von Spielautomatenläden und Geschäften, die billigen Tand feilbieten. Auch das Besucherpublikum gehörte eher zum unteren Ende der sozialen Skala. Deutlich hübscher ist der Bereich um Custom House Quay mit der Ziehbrücke. Eine gewisse Bekanntheit erreichte die Stadt 1944, da hier Truppen zum D-Day die Boote für die Landung in der Normandie bestiegen.

Wir überquerten den Damm zur Weymouth vorgelagerten Halbinsel Portland, bekannt in erster Linie für den weißlich-grauen Portland Stein, der landesweit Verwendung fand. So wurde z.B. auch die St. Paul's Cathedral in London aus dem Material erbaut. Unser Ziel war die äußerste Südspitze der Insel, Bill of Portland, mit dem immer noch betriebenen, rot-weiß-gestrichenen Leuchtturm. Der Blick von dort auf das Meer ist unvergeßlich! Von einem weiteren Aussichtspunkt aus hat man einen grandiosen Blick auf die weißen Felsklippen der Weymouthbucht.
Gut sichtbar von der Halbinsel aus ist die geologische Besonderheit der Region Chesil Beach, eine 29 Kilometer lange, schmale Kiesbank, die sich von West Bay bis Portland zieht und eine Lagune namens The Fleet abschließt.

Blandford Forum, Tarrant Monkton, Milton Abbas

Eine Tagestour unternahmen wir in die Region nördlich von Bournemouth. Nach nur 25 Kilometern erreicht man die eisenzeitliche Hügelbefestigung Badbury Rings. Deren 10 m hohen Erdwälle wurden später von den Römern ebenfalls noch als Verteidigungsanlage genutzt. Sehr schön ist auch die zu der Wallanlage führende Buchenallee, welche 1835 angelegt wurde.

Von meinem damaligen Besuch in guter Erinnerung geblieben war mir das kleine Dorf Tarrant Monkton, nur weniger Kilometer nördlich der Badbury Rings. Bei bestem Wetter präsentierte sich der Ort bei unserem jetzigen Besuch immer noch wie aus dem Bilderbuch: ein reetgedeckter Cottage steht neben dem anderen, alle umgeben von liebevoll angelegten Gärten mit in voller Blüte stehendem Blumenschmuck. Der Ort ist für mich der Inbegriff vom ländlichen Dorset. Im Zentrum steht das ebenfalls reetgedeckte Pub Langton Arms und direkt daneben befinden sich die Kirche und der dazugehörige Friedhof. Auf dem Parkplatz kamen wir mit einem netten Briten ins Gespräch und diskutierten mit ihm - auf seinen Anstoß hin - die Auswirkungen des bevorstehenden Brexit. Wir verließen den traumhaften Ort durch eine Furt, die das Flüßchen Tarrant durchquert - für Fußgänger gibt es einen Steg.

In der nächstgelegenen Stadt Blandford Forum hatte ich 1983 einige Wochen gewohnt. Die Stadt schien unverändert: ein kleines Geschäft reihte sich an das andere, alle ausgestattet mit wunderschönen Retro-Fassaden. Da die Stadt nach einem verheerenden Feuer 1731 komplett wieder aufgebaut wurde, stammen die allermeisten Gebäude aus der georgianischen Zeit. Wir nutzen den Stop zu einem Rundgang rund um den Marktplatz.

Etwa 10 Kilometer von Blandford befindet sich eine Ortschaft, die in keinem Dorset-Reiseführer oder Kalender fehlt: Milton Abbas. Die Geschichte des Dorfes ist bemerkenswert. Die unweit gelegene Benediktiner Abtei Milton Abbey wurde im Jahre 934 gegründet, das daran angrenzende Herrenhaus stammt aus von 1752 und beherbergt heute eine noble Privatschule. Der Besitzer des Herrenhauses, Lord Milton, befand seinerzeit, daß das Dorf Middleton die Sicht aus seinem Herrenhaus störte, und kurzerhand ließ er das Dorf abreißen und durch eine englische Park- und Gartenlandschaft ersetzen. Als sich einige Anwohner weigerten umzuziehen, öffnete der Lord ohne jegliche Skrupel die Schleusen eines Stausees. Die Bevölkerung von Middleton wurde in das 1780 neu erbaute Milton Abbas umgesiedelt, etwa 1,5 Kilometer vom Herrensitz entfernt. Rechts und links der leicht abschüssigen Straße befinden sich bis heute die weiß verputzten, reetgedeckten Häuschen, die ursprünglich für zwei Familien vorgesehen waren , heute aber meist eine Familie beherbergen und in deren offenen Vorgärten eine Blumenpracht wächst. Der Blick vom Hügel gleicht wirklich einer Postkartenidylle.