Die Restaurierung des Sattels eines Veterinäroffiziers der Kavallerie aus dem 2. Weltkrieg

Wie an anderer Stelle beschrieben, wurde mir der Sattel eines Veterinäroffiziers der Kavallerie überlassen. Als Baujahr schätzte ich etwa 1940. Nach akribischen Recherchen konnte ich die Historie des Sattels ermitteln.

Lange überlegte ich, ob ich den Sattel im vorgefundenen Zustand belassen oder restaurieren und damit wieder benutzbar machen sollte. Ich hatte bereits vorher mit Leder gearbeitet, aber mich noch nie an ein solches großes und kompliziertes Werkstück getraut. Konnte ich das schaffen? Wie sehr bedauerte ich, daß mein Großvater, ein selbständiger Sattler- und Polstermeister, nicht mehr lebte. Leider hatte ich ihn auch nicht mehr aktiv arbeiten sehen, sondern kannte nur die Berichte über die unzähligen Stunden, die er in Werkstatt und Küche (!) bei der Arbeit verbrachte. Die Arbeit an dem Sattel in der traditionellen Bauart wäre für meinen Großvater Alltag gewesen, ich hingegen hatte keine Ahnung.

Als ich nach genauer Betrachtung des historischen Schätzchens sah, daß irgend jemand - augenscheinlich nach dem Kriege - daran sehr stümperhaft gearbeitet hatte, fiel meine Entscheidung: schlimmer konnte es nicht werden - also ran ans Werk!


Was war geändert worden? Offenbar waren die Nähte von Sattelkissen und Schweißblatt aufgerissen und der unbekannte Sattler hatte kurzerhand zwei grobe Nähte mitten durch das Segeltuchkissen gelegt und dabei auch neue Löcher durch das Schweißblatt gestochen. Der Mantelsackträger war abgesägt und schräg auf die Sägestelle und über den Hinterzwiesel ein Lederflicken genäht worden. Das verschlissene Segeltuch des Sattelkissens war ebenfalls durch Lederflicken ausgebessert worden. An anderen Stellen war das Tuch aber erneut durchgescheuert. Vier der sechs Sattelstrippen hatte man ersetzt - nicht originalgetreu mit der Fleischseite nach außen, sondern "modern" mit der Seite nach innen. Zur weiteren Befestigung hatte man kleine Nägel in die Gurtbänder geschlagen, die Spitzen aber nicht abgeschnitten - sie stachen nun immer in das Leder. Um an die Strippen zu gelangen, waren die Verbindungsnähte von Schweiß- und Sattelblatt rechts und links vom Vorderzwiesel aufgetrennt und mit grünem Garn grob nachgenäht worden. Dafür hatte man neue Löcher ins Leder gestochen. Im Zuges dieser Arbeiten war auch ein herausgerissener D-Ring durch einen zu großen Ring aus Alu ersetzt worden. Eine Schnalle für den "Maria-Hilf-Riemen" war komplett vom Sattelbaum und durch das Leder gerissen. Von den originalen vier Sattelnägeln aus Aluminium waren zwei durch nicht richtig passende Sechskantschrauben ersetzt worden. Auf den Vorderzwiesel hatte man einen unsymetrischen Lederflicken geklebt.

Immerhin hatte man durch diese Arbeiten aber einen Zustand erreicht, mit dem der Sattel noch benutzbar war - sieht man von der relativ flach gesessenen Polsterung des Sattelkissens ab. Und das Leder war für seine ca. 77 Jahre noch in erstaunlich gutem Zustand.

Womit also beginnen? Als erstes mußte Reparaturmaterial angeschafft werden. Dieses war einfacher gesagt als getan. Was für ein Material war dieses Segeltuch? Eine Anfrage bei verschiedenen (Fach-) Museen in Deutschland und Österreich brachte keinen Erfolg. Also surfte ich stundenlang durch zahlreiche Internetseiten für Stoffversandhandel. Es mußte logischerweise bei dem Alter des Sattels ein Naturprodukt sein. War es Leinen? War es Baumwolle? Nein, die Struktur paßte nicht. Irgendwann stieß ich auf ein Produkt, welches sehr ähnlich aussah: Hanf-Canvas, fast 600 Gramm pro Quadratmeter schwer.

Die Bestellung einer Griffprobe bestätigte meine Vermutung: das Sattelkissen war exakt aus diesem Material gefertig worden!
Für die Nähte wollte ich auf keinen Fall Kunststoffgarn verwenden und fand Sattlergarn aus Baumwolle im mir schon vorher bekannten Lederhaus (s.u.). Dort bestellte ich auch noch Sattler- und Polsterernadeln. Nähahlen und diverses Leder hatte ich noch in meinem eigenen Fundus.

Um weiter arbeiten zu können, war es nötig, das Sattelkissen vom übrigen Sattel zu lösen. Dafür mußten die Vordernähte zwischen Schweiß- und Sattelblatt aufgetrennt werden. Anschließend stand das Lösen der großen und kleinen Sattelnägel an. Die nachträglich angebrachten Schrauben waren einfach aufzudrehen. Eine der beiden originalen Aluschrauben ließ sich auch einfach öffnen, die andere war aber ausgeblüht und saß bombenfest. Ein gewaltsamer Versuch führte dazu, daß der Kopf abgedreht wurde - und der Rest in der Metallhülse saß, die durch den Sattelbaum gesteckt wurde. Mühselig mußte nun das Alu aus der Hülse gebohrt werden, ohne diese zu beschädigen. Anschließend betrachtete ich die einzig verbliebene intakte Schraube. Was war das denn? Wieder begann eine intensive Recherche.

Ich lernte, daß es sich um eine sogenannte Flachkopfschraube mit Schlitz handelte, und - daß das Gewinde nicht metrisch war! Sollte es tatsächlich ein Zollgewinde sein? Wie sollte ich das nur herausfinden? Zig Besuche in speziellen Schraubenläden und diverse Telefonate führten mich schließlich zu einer auf englische Autos spezialisierten Werkstatt. Der nette Besitzer stellte mir zum Probieren des Maßes eine Sechskantschraube zur Verfügung - und sie paßte! Es war eine Schraube 1/4"-20 x 5/8" UNC, also amerikanisches Grobgewinde.
Danach suchte ich im Internet ein Versandgeschäft, welches Schrauben mit UNC-Gewinde auch in Mini-Stückzahl verschickt. Schließlich wurde ich fündig. Online-Schrauben (s.u.) bietet Schrauben an, die der von mir gesuchten am nächsten kommen. Der Kopf ist zwar nicht ganz so groß und flach wie das Vorbild, dafür sind sie aber aus viel haltbarerem Edelstahl und nicht weichem Aluminium.
So gerüstet trennte ich die durch das Kissen nachträglich angelegten Nähte und die Verbindung Segeltuch-Schweißblatt auf. Zutage trat eine Füllung aus Reißwolle, teilweise unterfüttert durch Roßhaar.

Augenscheinlich war die Reißwolle seinerzeit in Formen passend zum Sattel gepreßt und dann mit Segeltuch bezogen worden.
Die Lederoberseite des Sattelkissens war auf der einen Seite noch recht gut intakt, wenngleich sich der Sattelbaum und das Kopfeisen stark ins Leder gedrückt hatten. Auf der anderen Seite war das Leder durch den Druck an einigen Stellen gebrochen. Ich verstärkte die Oberseite durch Aufkleben von neuem Leder und nähte das alte Segeltuch am Schweißblatt unter Verwendung der alten Nahtlöcher fest. Vorher hatte ich die alten Lederflicken auf dem Segeltuch entfernt und das Tuch grob gestopft, um die Löcher zu schließen.

Nun begann der schwierigste Part: das Aufnähen des neuen Segeltuches. Bewußt hatte ich mich gegen das Ersetzen des alten Tuches gewandt, weil die Gefahr zu groß war, das Polster nicht wieder korrekt vernähen zu können. Das Annähen - wieder unter Verwendung der alten Löcher - war extrem zeitaufwendig und schwierig. Ich steckte das Tuch mit Stecknadeln fest und legte provisorische Nähte an. Dann begann ich erst an der Oberseite, dann an der Vorderseite und teilweise unten. Um die Trachten entschloß ich mich zu einer Technik wie an den alten Militärsattelmodellen 25: das In-Falten-Legen des Stoffes und Befestigung an den Trachten.


Eine Lücke unten zum Schweißblatt wurde freigelassen, weil von aus dort der Sattel nachgepolstert werden sollte.
Als nächstes begann die Bearbeitung des Sattelbaums. Das Leder des Tunnels war im Bereich des Kopfeisens stark zerstört, da sich die Nägel des Kopfeisens durchgescheuert hatten. Auf beiden Seiten des Sattelbaums rechts und links vom Tunnel war das Leder aus den Nägeln ausgerissen und hatte sich nach innen gedrückt. Die Metallverstärkung des Baumes und alle verwendeten Nägel und Schrauben waren total verrostet. Die D-Öse auf der linken hinteren Sattelseite war ausgerissen, die Halterung zum Glück noch vorhanden.
Gut zu erkennen war von unten der Aufbau des Sattelsitzes durch gespannte Gurtbänder. Da der Sitz vollständig in Ordnung war, bedurfte es hier keiner Reparatur.
An den hinteren Trachten erkennbar war noch die Farbe, in der der Sattelbaum ursprünglich gestrichen war: olivgrün.
Als erstes erfolgte ein Entrosten aller Metallteile und Einstreichen mit Rostwandler. Der Sattelbaum selbst wurde auch gestrichen und die herausgerissene Öse hinten ersetzt. Ebenso wurde unter dem Vorderzwiesel die noch vorhandene rechteckige Öse entfernt und durch eine neue D-Öse ersetzt. Gleiches galt für die andere Seite, wo die Öse herausgerissen war.
Als nächstes wurde das Leder des Tunnels durch Kleben von neuem Leder komplett neu unterfüttert und durch Nageln am Sattelbaum stramm befestigt.
Ärgerlicherweise stellte ich erst nach Abschluß dieser Arbeiten fest, daß die Aufhängung einer Sattelstrippe, genauer: die Lederverstärkung des Gurtbandes gerissen war. Da ich den gesamten Sattel nicht wieder auseinandernehmen wollte, diese Sache aber ein nicht unerhebliches Sicherheitsrisiko darstellte, entschloß ich mich zu einer unorthodoxen und nicht originalgetreuen Reparatur: ich schraubte Synthetikgurtband an den Sattelbaum und vernähte es mit Strippe und altem Gurtband.

Wirklich keine schöne Lösung aber: safety first!
Nun wurde das Sattelkissen umgepolstert indem ich Sattelschafswolle über die Reißwolle schob, um das Entstehen von Knubbeln zu vermeiden. Dann wurden auch die letzten Teile der Nähte geschlossen und die Befestigungsfäden durch die Kissen und auch die Pauschen vorne gestochen.
Anschließend konnten die beiden Sattelkissen wieder auf den Sattelbaum geschoben werden. Als nächstes wurden die Metallhülsen der Kissen durch den Baum gesteckt und durch die kleinen Sattelnägel (hier die Schrauben) befestigt. Ebenfalls festgeschraubt wurden die großen Sattelnägel.
Dann wurden die verstärkten Schnallen zur Befestigung des Hinterzeugs wieder in die Trachten geschraubt.
Zum Abschluß wurden die Nähte zwischen Sattel- und Schweißblatt wieder - unter Verwendung der alten Löcher - vernäht.

Es versteht sich von selbst, daß während der Arbeit und zum Abschluß das Leder gut gereinigt und durch hochwertiges Lederfett behandelt wurde.

Der fertige Sattel

Ich habe die für die Restaurierung verbrauchte Zeit nicht nachgehalten, der Aufwand dürfte aber sicher über 100 Stunden liegen. Als besonders zeitaufwendig stellte sich die strikte Verwendung der alten Nahtlöcher heraus, welches ich mir zur Bedingung gemacht hatte. Mir war von Anfang an klar, daß man in das alte Leder so nah an den alten Löchern keine neuen stechen konnte, ohne das Ausreißen des Materials zu riskieren.


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