Der nächste Morgen war sehr kühl, dann wurde es recht schnell sehr warm. Das kontinentale Klima ließ grüßen! Nach einem Frühstück mit Brenda und Rio, Jay war schon unterwegs, fuhren wir nach Süden, wo wir in Eagle Butte mit Denelle High Elk, der Leiterin der Tourismusabteilung der Cheyenne River Reservation verabredet waren. Der Stamm unterhält einen großen Internetauftritt und bietet auch Touren an. Wir hatten die Buffalo and Horse Tour gebucht. Das Game, Fish and Parks Department, wo sie arbeitete, machte einen neuen und gepflegten Eindruck. Eine Reihe der Angestellten sahen recht "weiß" aus. Wir bekamen von Denelle ein großes Infopaket und los ging es in ihrem Pickup für über eine Stunde nach Westen. Dort unterhält der Stamm eine sehr große Bison- und Pferdeherde. Mit dem Pickup ging es querfeldein bis nah an die Bison, die auch hier Kälber hatten. Wegen des wärmeren Klimas waren diese aber schon größer als im Yellowstone Park. Auch hier standen die Bullen separat von den Kühen und Kälbern. Als wir durch die Prärie fuhren, bekam ich einen Eindruck von dem sehr rauhen Untergrund unter dem Büffelgras. Der Wagen hatte seine liebe Not, voran zu kommen. Auffällig waren auch die vielen Kakteen zwischen dem Präriegras! Nachdem wir ausgiebig die Bison betrachtet hatten, machten wir uns auf die Suche nach der Pferdeherde. Das gestaltete sich sehr schwierig und langwierig. Auf einmal sahen wir direkt am äußeren Zaun des Areals einen Pickup und Männer, die schossen - hier mitten in der Wildnis. Denelle war stinksauer, es handelte sich um Weiße, die auf Präriehunde schossen - zum Spaß! Da sie außerhalb des Zauns waren, konnte Denelle nichts machen, sie telefonierte aber hektisch mit dem Gamedepartment. Endlich sahen wir dann auch die ersten Pferde, ein Hengst mit etwa vier fohlenführenden Stuten, die uns argwöhnisch beobachteten. Nach einer Kuppe sahen wir auch den Rest der Herde, ein wunderschöner Anblick! Wir fuhren auf den höchsten Butte in der Umgebung, der Pickup hatte Mühe, raufzukommen und hatten einen atemberaubenden Ausblick auf die Bison- und Pferdeherde. Diesen wurde das Geballere der Jäger doch zu stark und die ganze Herde setzte zum Galopp an. An die 200 Pferde galoppierten wie im Film um die Butte herum. Wir trauten unseren Augen nicht!
Wir hatten auch ausgiebig Gelegenheit, Denelle zur Situation auf dem Reservat zu befragen. Sie war augenscheinlich eine sehr traditionelle Indianerin, die aber ihre Augen vor den zahlreichen Problemen auf der Reservation nicht verschließt. Sie wies ausdrücklich darauf hin, daß endlich die Abhängigkeit von staatlichen Zuschüssen beendet werden und Jobs geschaffen werden müssen. Das Reservat habe eine Arbeitslosenquote von über 80 %. Lachen mußte sie wegen meiner Frage, warum fast alle Indianer um ihre Häuser und Trailer alte Auto anhäufen. Ihr Vater habe das auch gemacht, das sei typisch für indianische Männer, die meinten, irgendwann könnten sie doch noch was von den Wracks gebrauchen. Nach dem Tode des Vaters hätte die Familie als erstes diese Autos entsorgt. Sie selbst habe auch eine Clean-up Aktion im ganzen Reservat initiiert. Als ich sie wegen der Lakotasprache befragte, sagte sie, sie verstünde noch Lakota, könne es aber schon nicht mehr sprechen. Ihre jüngeren Brüder hätten gar keine Sprachkenntnisse mehr. Für sie und einige Freunde sei der Besuch von "Der mit dem Wolf tanzt" höchst amüsant gewesen. Nicht nur, daß vieler ihrer Bekannten und Verwandten dort mitgespielt hätten, auch hätten sie verstanden, was dort gesprochen wurde. Bekanntlich waren die Lakota-Originaltexte mit Untertiteln gesendet worden. Um Hintergrundgeräusche zu erzeugen, hätten sich die Lakota-Schauspieler Witze erzählt! Schlimm sei es, daß es auf dem Reservat keine sog. "Elders" mehr gäbe, die Traditionen weitervermitteln könnten. Denelle ist Abkömmling des Häuptlings Crazy Horse und um das Thema des Crazy Horse Monumentes in den Black Hills lavierte sie elegant herum.
Nach dem Anschauen der Tierherden fuhren wir noch zum Lake Oahe. Dort hatte vor der Überflutung in den 1960er Jahren die ursprüngliche Agentur bestanden. Den Indianern war zugesichert worden, daß auch die Toten nach Eagle Butte umgebettet würden, umgestellt hatte man aber nur die Grabsteine. Nun würden sukzessive die Gebeine freigespült, die Grabräuber anlockten, weil die Indianer in vollen Regalia bestattet werden. Eine Entschädigung für den Landverlust durch den Stausee hat es natürlich auch nicht gegeben. Nach über fünf Stunden waren wir dann wieder zurück in Eagle Butte wo wir nach der hochinteressanten Tour auch von Denelle diesen laschen Händedruck der Lakota bekamen.
Bei der Gluthitze von etwa 38 Grad entschlossen wir uns, in das nahegelegene Cultural Center des Stammes zu gehen. Es bestand in erster Linie aus einer Versammlungshalle mit historischen Photographien und historisierten Wandgemälden, zu denen man uns gedruckte Erklärungen gab. In dem angeschlossenen kleinen Laden für auf dem Reservat hergestellte Kunstgegenstände wurde ich zu sehr angemessenen Preisen fündig und kam auch noch mit den Angestellten ins Gespräch. In den von Weißen betriebenen Läden, womöglich noch an touristisch interessanten Punkten wie Custer, wurden absolute Phantasiepreise von z.T. über 1000 $ verlangt. Hier war ich mir wenigstens sicher, daß das Geld auch dem Künstler zugute kam. Im Center sprach uns auch eine junge Indianerin an, die begeisterte Skifahrerin in den Black Hills ist und lange mit einer Deutschen korrespondiert hatte.
Wir aßen noch in einem Restaurant in Eagle Butte. Hier, wie im ganzen Ort, fielen mir die vielen Indianer auf, die augenscheinlich einen ganz starken weißen Einschlag hatten, wenn nicht ganz weiß waren. Sehr groggy fuhren wir zur Farm zurück, wo wir noch einen netten Abend mit Brenda und Jay verbrachten, die uns für morgen zum "Branding" bei einem Nachbarn einluden. Abends spät ging es noch mit dem Pickup zu einer Weide, um eine Mutterstute anzuschauen, die abfohlen sollte. Noch stand sie aber fidel bei ihren anderen Kumpels und betrachtete uns neugierig. Geburtshilfe gibt es nicht, entweder die Geburt klappt oder nicht, die Pferde sind sich selbst überlassen und werden über Nacht frei laufen gelassen. Morgens und abend bekommen sie etwas Kraftfutter und warten in einem Corral darauf, für die Arbeit gesattelt zu werden. Ställe für die Kühe gibt es auch nicht, es wird einfach draußen zugefüttert. Größtes Problem ist die seit über fünf Jahren anhaltende Dürre, die das Gras jetzt schon Anfang Juni vertrocknen läßt. Ein Nachbar von Jay brachte sein Vieh 500 Meilen weit nach Osten, damit es wieder fressen konnte. Finanziell ein Desaster für ihn....
Am nächsten Tag waren Jay und Rio schon mit den Pferden vorgefahren, wir folgten mit Brenda. Als wir bei dem Nachbarn ankamen, trauten wir unseren Augen nicht: hier ging es zu wie im Wilden Westen. Die Kälber befanden sich in einem Corral, aus dem sie von den Reitern mit Lassos an den Hinterbeinen gefangen und herausgezogen wurden. Jenseits warteten Leute, die das Kalb festhielten, ein Brandzeichen aufdrückten, es impften und ggf. kastrierten. Dies geschah mit einem blutigen Taschenmesser! Die Kälbchen wurden dann losgelassen und sammelten sich. Außen vor dem Zaum standen die Mutterkühe und blökten, die Kälbchen stimmten ein. Es herrschte eine ungeheuere Geräuschkulisse. Die Männer arbeiteten Tier für Tier ab, so um die 150 Stück. Hier konnte man arbeitende Westernpferde wie aus dem Bilderbuch betrachten! Die Männer waren Vollprofis - fast jeder Lassowurf gelang. Nachdem ein Pferd etwa 35 Kälber gezogen hatte, bei der Hitze Schwerstarbeit, mußte es getauscht werden. Jay erklärte, daß sich zu einem solchen Ereignis immer die weit auseinander wohnenden Rancher träfen, um gemeinsam zu arbeiten. Seine Kälber seien vorige Woche gebrannt worden. Wir wurden zum Essen eingeladen, wußten nun aber auch nicht so recht, wie wir uns verhalten sollten zwischen den ganzen arbeitenden Männern. Letztlich lehnten wir sehr dankend ab....
Wir fuhren nach Timberlake, wo es ein nettes Country Museum geben sollte. In der Tat, hier ging es sehr familiär zu. Ältere Damen betreuten uns und ein Herr lief geradezu zu Höchstform auf. Sage und schreibe zwei Stunden lang erläuterte er uns die Geschichte der Rußlanddeutschen in der Region sowie die Geschichte der Gegend und diverse Bücher. Von ihm hörte ich das erste Mal, daß es sich bei den zahlreichen Deutschen in North Dakota um Wolga- und Schwarzmeerdeutsche handelte! Das Museum an sich war mit viel Liebe gestaltet, war aber für uns nicht besonders spektakulär. Interessanter was das ganze Ambiente.... Timberlake ist ein winziges Dörfchen, bietet aber die Infrastruktur für eine große Region wie Schule und Supermarkt. Wir entschlossen uns, in einem Restaurant zu essen, wo wir von einer jungen, total verfetteten und desinteressierten Indianerin bedient wurden. Der ganze Laden machte einen schmuddeligen Eindruck...
Da wir noch nicht zur Farm zurück wollten, entschlossen wir uns, Richtung Mobridge zu fahren. Dort fiel uns das große Spielkasino ins Auge. Nach einigem Suchen fanden wir das Grabmal von Sitting Bull hoch über dem Oahe Stausee. Nach seiner Ermordung im Dezember 1890 hatte man ihn beim Fort Yates verscharrt. 1953 fühlten sich einige junge Männer, angeblich autorisiert von Sitting Bulls Nachkommen, berufen, in einer Nacht und Nebel Aktion auf dem Friedhof herumzugraben und einige gefundene Knochen nach Cheyenne River zu bringen. Dort wurden die Knochen, von denen keiner weiß, was immer dort mitgenommen wurde, unter Eisenbahnschienen einbetoniert. Unter den Standing Rock Indianern hält sich hartnäckig das Gerücht, diese "Umbettung" sei ein PR-Aktion von Mobridge, um mehr Touristen in die Gegend zu locken... wie dem auch sei, man hat über dem zweiten Grab ein Steinporträt des Häuptlings errichtet. Ganz in der Nähe befindet sich auch ein Gedenkobelisk für Sakakawea, der Lewis & Clark Führerin.
Nach unserer Rückkehr zur Ranch nutzte ich die Gelegenheit, mit Jay noch einen kleinen Ausritt in die Prärie zu unternehmen, wo wir eine versprengte Kuh fanden und zur Ranch zurückbrachten. Da Westernreiten doch nun so ganz anders ist, als deutsch reiten, ließ ich es langsam angehen. Zudem war auch hier der Prärieuntergrund sehr rauh. Dann gab Jay mir noch eine Lektion im Lassowerfen, was sich als äußerst schwierig herausgestellte! Man mußte im wahrsten Sinne des Wortes den "Dreh" heraushaben.
Viel Zeit blieb uns nicht, denn Denelle High Elk hatte uns über das im Nachbarort Whitehorse, mal eben 45 Minuten Fahrt über Gravel Road, stattfindende Powwow informiert. Also fuhren wir mit Jay und Brenda los. Offenbar handelte es sich um eine absolut nicht-touristische Veranstaltung, die allerdings öffentlich war. Wir waren hungrig und gingen zu einem Wagen, wo es augenscheinlich etwas zu essen gab. Als wir bezahlen wollten hieß es, das Essen sei für alle Besucher frei. Zu uns gesellte sich ein Angehöriger des Powwow Organisationskomitees, der wie ein Cowboy gekleidet war. Er war so nett und erläuterte uns das ganze Powwow, vor allem auch die verschiedenen Tänze und Kostüme - die man auf Englisch niemals "costumes" sondern "regalia" nennen muß. Dann kam der Grand Entry, der Einzug aller Teilnehmer. Nun sahen wir auch die verschiedenen Kostüme der Traditional Dancers, der Fancy und Grass Dancers usw. Um die Tanzarena hatten sich die Zuschauer gruppiert und saßen in mitgebrachten Klappstühlen. Auffällig viele junge Frauen mit Kindern waren vertreten. Fast alle Erwachsenen hatten auch hier mit erheblichem Übergewicht zu kämpfen. Der Einzug der Tänzer wurde angeführt durch drei Männer in amerikanischen Armeeuniformen, an die sie die Flaggen des Stammes genäht hatten. Auch hier, wie schon in diversen Denkmälern auf den Reservationen, zeigte sich die augenscheinlich ungebrochene Traditition vom indianischen Krieger zum amerikanischen Soldaten. Mehrere Runden wurde getanzt, ein Kommentator bedankte sich dann auf Lakota und Englisch. Dann wurde von einigen Männern, die um eine Trommel saßen - einige Tänzer nahmen auch teil - die Lakota Nationalhymne getrommelt und gesungen. Danach wurde wieder getanzt. Dann folgte die Ehrung einer 70jährigen Bewohnerin der Reservation. Alle ihre Verwandten gingen mit ihr in der Arena im Kreis, danach wurden die übrigen Bewohner von Whitehorse aufgefordert, die alte Dame zu honorieren. Offenbar griff man hier auf die Tradition der Ehrung der Älteren zurück, die bei den Indianern überall eine sehr hohen Stellenwert hatten. Mittlerweile war die Sonne untergegangen und Scheinwerfer beleuchteten die Szenerie. Gegen 23 Uhr verließen wir den Powwow Ground, wo das Feiern nun weiterging. Samstag und Sonntag fände das Preistanzen in den verschiedenen Kategorien statt, erklärte man uns.