Weiter ging es nach Mission auf der Rosebud Indian Reservation, wo wir nach Süden abbogen, um unser Ziel, das Rosebud Casino, zu erreichen. Es liegt unmittelbar an der Staatsgrenze nach Nebraska mitten in der Einsamkeit. Wir bezogen unser sehr schönes Zimmer und aßen dann in einem riesigen Raum am Büffet. Auffällig war die Mischung der Gäste: es gab sicherlich 50 % Indianer und 50 % Weiße. Auffällig waren vor allen die ultrafetten weißen Frauen mit ihren schlanken Männern. Dem Aussehen nach zu schließen, waren es typische Rancher und Farmer aus Nebraska, die hier ihr Wochenende verbrachten. Noch interessanter war die Beobachtung der Spieler: im Bingosaal waren sicherlich 90 % der Spieler Indianer, an den Slotmachines so um die 30-40 %. Schilder wiesen darauf hin, daß der Alkoholkonsum auf den Zimmer verboten sei, ebenso wie das Mitnehmen von Alkohol außerhalb des Casinos. Während des Spielens war Alkohol erlaubt. Wir spielten, ebenso wie schon früher in Las Vegas nicht, sondern beobachteten die Gäste. Die weißen Farmer kannten sich alle augenscheinlich, die Indianer saßen stundenlang stoisch an den Slotmachines. Ebenso wie eine Reihe von Weißen brauchten sie kein Bargeld einzuwerfen, sondern hatten Geldkarten. Überall war Sicherheitspersonal zu sehen, vornehmlich Weiße, während die Leute an der Hotelrezeption Indianer waren. Dieses Casino war schon bizarr in the middle of nowhere...
Am nächsten Morgen wollten wir bei dem Hauptkassierer des Kasinos Traveller Checks einlösen, einem Weißen von höchst zweifelhaftem Aussehen. Seine struppigen Haare korrespondierten mit seinen komplett fehlenden Zähnen des Oberkiefers. Wir kamen mit ihm ins Gespräch und ich mußte sehr schnell meine Vorurteile wegen seines Aussehens revidieren. Er erzählte, er sei in Bad Hersfeld bei Kassel geboren worden, lebe aber nun schon seit über 30 Jahren auf Rosebud. Er gehörte zu den Leuten, die die Besetzer von Wounded Knee 1973 unter Bedrohung ihres Lebens mit Lebensmitteln versorgt hatten. Auch er bestätigte, daß damals US-Panzer aufgefahren worden waren. Dann erzählte er noch von einem Besuch bei Leonard Peltier im Zuchthaus Leavenworth und den Begleitumständen wie Drogentests etc. Zudem war er mit Crow Dog gereist. Interessanterweise teilte er meine Meinung über zensierte Berichterstattung in den US-Medien... der Mann wußte wovon er sprach und nun war mir auch klar, warum ihm die Indianer diesen verantwortungsvollen Posten gegeben hatten....
Wir wollten nunmehr nach St. Francis zum Buechel Memorial Lakota Museum, fanden aber nur die Gravel Road nach Rosebud, die querfeldein führte. Insgesamt machte Rosebud einen besseren Eindruck als Pine Ridge. In dem Nest - immerhin gab es auch hier BIA und Feuerwehr - fanden wir das Hinweisschild zum Museum "geschlossen, nur nach Vereinbarung". Na toll. Dafür waren wir den Umweg gefahren? Auf die Idee, dorthin zu fahren, um den Wahrheitsgehalt zu prüfen, kamen wir natürlich nicht, sondern fuhren weiter zur Sinte Gleska University. Mit den Leuten dort hatte ich vor der Reise Kontakt per e-mail gehabt, irgendwann aber keine Antwort mehr erhalten. An und für sich hatte ich auch vorgehabt, die Universität zu besichtigen... Wir fragten uns zum Heritage Center durch. Dies war in einem Blockhaus untergebracht. Eine Angestellte schaltete das Licht ein und bemerkte, zu "Stoßzeiten" kämen vielleicht zwei Personen pro Tag, nun ja. Das Center bestand nur aus einem Raum, ausgestattet mit einigen Photographien sowie Repliken von indianischen Kunstgegenständen. Nicht nur hier hatte ich das Gefühl, daß man auf den Reservaten quasi keine alten Kunstgegenstände mehr findet, sondern diese alle nur in Sammlungen und Museen der Weißen zu finden sind. Das Interessanteste des Centers war eigentlich ein Plan, der die Besitzverhältnisse auf Rosebud wiedergab: diese Konglomerat von Stammesland, privatem Land von Indianern und Weißen, BIA-Land usw. Fassungslos war ich, als die Angestellte auf meine Bemerkung, das Buechel Museum sei wohl zu, antwortete, möglicherweise sei auch das Schild, welches wir gesehen hätten, nicht mehr up-to-date und das Museum doch geöffnet. Ob sie anrufen solle? Wir könnten dann ja doch noch hinfahren. Wie bitte - das wäre eine Stunde Fahrt zurück gewesen! Mir fiel dazu nun so gar nichts mehr ein. Indian time eben.... Interessant war die Bemerkung der Indianerin, sie sei noch nicht in St. Francis gewesen, in dem Museum solle es aber schöne Kunstgegenstände geben. Ich fragte, warum. Sie spontan: "Ja wegen der Kirche. Die haben die Sachen gesammelt".
Etwas genervt fuhren wir weiter. Irgendwann ereichten wir die Reservatsgrenze. Direkt daran war ein Ort in der Karte eingezeichnet worden. Der Ort bestand aus einem (verlassenen?) Haus, in dem wohl eine Kneipe bestanden hatte. Ob sie heute noch existierte, war nicht genau festzustellen. Mich erinnerte das Ambiente an die Szenerie, die ich vor Jahren an einer Reservatsgrenze in Arizona gesehen hatte...
Durch enorm langweilige Prärielandschaft ging es Stunde um Stunde weiter Richtung Missouri, den wir gegen Abend erreichten. Endlich gab es was zu sehen, die große Brücke über den Fluß bei Chamberlain. Nun hatten wir also den Fluß erreicht, der lange Zeit die Grenze zum Westen darstellte und auch die Grenze zu den "hostile Sioux". Da wir noch früh genug waren, hatten wir noch genügend Zeit, das bekannte Akta Lakota Museum zu besuchen. Dieses war sehr professionell aufgemacht und verfügte über zahlreiche Artefakte. Nach einiger Zeit sprach mich ein Angestellter an: "From which tribe are you?" Er stellte sich als Bewohner der Crow Creek Indian Reservation vor, trug die Haare traditionell lang. Er sagte auch, er habe zwei Tipis vor seinem Haus und ein sweatlodge. Lustig waren seine Witze über die Tradition der Lakota früher, mehrere Frauen zu haben. Bei ihm hätten sich noch keine freiwillig gemeldet! Dann wollte er wissen, ob sich noch mehr Deutsche für die Kultur der Indianer interessierten und wenn ja, wie man die wohl für das Museum interessieren könne? Unser Motel in Chamberlain war sehr schön, lag aber leider recht weit außerhalb. Also fuhren wir mit dem Auto zur Stadt, parkten es, und machten uns zu Fuß auf den Weg. Chamberlain besteht fast nur aus einer Hauptstraße mit einigen Geschäften, die dann abends geschlossen hatten. Auffällig waren die vielen Indianerjugendlichen, die augenscheinlich von der Schule beim Museum stammten und die hier ihre Zeit totschlugen. Meiner Ansicht nach handelte es sich bei fast allen um Mischlinge...
Am nächsten Tag befuhren wir die Crow Creek Indian Reservation auf der linken Seite des Missouri Rivers über den Native American Scenic Byway, 2005 eingerichtet. Die Straße eröffnet schöne Ausblicke über den Missouri und führt durch Prärielandschaft, ab und zu waren Häuser zu sehen. Diese machten aber einen gepflegteren Eindruck als diejenigen, die wir auf Pine Ridge und Rosebud gesehen hatten. Wir fuhren weiter nach Fort Thompson, das sehr klein war und einen netten Eindruck machte. Dann ging es zum Big Bend Dam, der den Missouri aufstaut und Energie gewinnt. Auf der anderen Seite des Flusses erreichten wir die Lower Brule (gesprochen: Bruul) Indian Reservation. Auf beiden Seiten des Missouri waren von der Stammesverwaltung Erholungsparks für die Bevölkerung angelegt worden.
Auch auf Lower Brule, nunmehr wieder rechtsseitig des Missouri, dominierte menschenleere Prärielandschaft, von Landwirtschaft war keine Spur zu sehen. Dann erreichten wir Lower Brule, den Hauptort des Reservates. Es gab viele Holzhäuser, keine Trailer, alles sah, wie auch schon auf Crow Creek, recht nett aus. Wir beobachteten einige Indianerjungen beim Mountainbikefahren. Ein Stückchen weiter, an exponierter Stelle mit Blick über den aufgestauten Missouri zeugten einige Tipis vor einem größeren Gebäude von der Stammesverwaltung des Reservates. Unmittelbar dahinter liefen einige Bison frei herum.
Wir folgten dem Native American Scenic Byway nach Norden. Wieder ging es durch langweilige Prärielandschaft, ab und zu gab es riesige Felder. Näherte sich die Straße dem Missouri, waren Bootsanlegestellen und Recreationparks ausgewiesen. Die Straße zog sich hin durch menschleere Gegend, bis wir irgendwann das Reservat verließen. Sowohl Crow Creek als auch Lower Brule sind im Vergleich mit den anderen, bislang besuchten Reservaten, winzig. Es sind ja auch nur die spärlichen Überreste der zerschlagenen Great Sioux Indian Reservation.
Langsam näherten wir uns Fort Pierre (gesprochen: Pier). Einige Meilen davor sahen wir auf einer riesigen Wiese Bison grasen und waren verwundert. Dies klärte sich kurz darauf auf: wir hatten das Buffalo Interpretive Center der Lower Brule erreicht. Eine sehr freundliche weiße Angestellte erläuterte uns die Ausstellung und beantwortete bereitwillig unsere Fragen. Die Lower Brule hätten hier von zwei Weißen Farmen gekauft und würden nun Bison züchten. Zudem sei der Stamm der größte Popcornproduzent der USA, im großen Stile würde dafür Mais angebaut. Der Kauf der Farmen wäre bei der Stadtverwaltung von Pierre nicht gern gesehen worden, weil das erworbene Land somit sofort steuerfrei geworden sei und diese Steuern im Stadtsäckel fehlten. Der Stamm betreibe nun auch offensiv Werbung für Touristen (was wir u.a. auch an dem zahlreichen, hervorragenden Infomaterial ablesen konnten). Extra sei sie eingestellt und das Center eröffnet worden. Hier wurde interaktiv die Rolle des Bison für die Kultur der Prärieindianer dargestellt.
Wir fuhren weiter die wenigen Meilen nach Fort Pierre. Zu sehen gab es, außer einem Hinweisschild auf die Geschichte des Ortes, wenig. Dann wurde auch noch auf die Geschichte von Lewis & Clark hingewiesen. Diese waren hier 1804 an Land gegangen. Wir überquerten den Missouri und befanden uns in der Hauptstadt von South Dakota, Pierre. Immerhin ist diese Stadt das Zentrum eines riesigen Bereiches, trotzdem war es in unseren Augen wirklich eher ein Städtchen - allerdings versehen mit einer völlig überdimensionierten Replik des Capitols in Washington. So ein Ding hatten wir ja vor Jahren auch schon in Sacramento gesehen, von großem Einfallsreichtum der Bauherren kann man wirklich nicht sprechen.... rund um das Capitol waren sehr nette und äußerst gepflegte Viertel mit Einfamilienhäusern. Schnell hatten wir aber die Stadt durchquert und noch einen Stop in einem schönen Erholungspark am Missouri gemacht. Bei der immer noch herrschenden brütenden Hitze eine echte Erholung.
Zurück ging es wieder über den Missouri. Bald mußten wir uns entscheiden, ob wir einen sehr langen Umweg von 112 Km zu der Ranch fahren wollten, auf der der Film "Der mit dem Wolf tanzt" mit Kevin Kostner gedreht worden war. Die Triple U Buffalo Ranch ist einer der größten Bisonzüchter in den USA und hatte weite Areale der Ranch für die Filmaufnahmen zur Verfügung gestellt. Wegen der schon fortgeschrittenen Zeit entschlossen wir uns, nicht zur Ranch zu fahren. Statt dessen folgten wir dem Native American Scenic Byway erst nach Westen Richtung Hayes, dann nach Norden. Stundenlang ging es durch langweilige rollende Prärie wie aus dem Bilderbuch. Die Landschaft kannte ich in der Tat aus dem Film, den ich mehrmals gesehen habe.
Als wir den Seitenarm des Lake Oahe Stausees überquert hatten, wußten wir, daß wir im Cheyenne River Reservat sein mußten. Weiter ging es nach Norden durch die menschenleere Prärielandschaft bis wir nach sehr langer Fahrt den Ort Eagle Butte (gesprochen: Bjute) erreichten. Hier ist die Stammesverwaltung und die Reservatsinfrastruktur wie Schulen, College etc. angesiedelt. Da wir am nächsten Tag hier verabredet waren, schauten wir uns die Stadt nicht näher an, sondern folgten dem Scenic Byway nach Osten. Durch mehr oder weniger menschenleere Prärie, man sah nur dann und wann Trailer in der Landschaft stehen, ging es weiter. Auf einmal, mitten in der Prärie, stand in der Nähe der Straße eine kleine Holzkirche mit angeschlossenem Friedhof. Was machte die denn hier? Die Kirche wurde anscheinend noch genutzt, ebenfalls der Friedhof, auf dem sich immer wieder die gleichen Namen befanden. Interessant war, daß man den Toten Dinge auf das Grab gelegt hatte, die sie zu Lebzeiten wohl sehr geschätzt hatten: ein Eishockeyhemd, ein Golfschläger, stilisierte Dinge aus Plastik...
Kurz vor dem Oahe Stausee bog die Straße nach Norden ab und war fortan nicht mehr asphaltiert. 45 Minuten fuhren wir durch absolut menschenleere Prärielandschaft. Hier fühlte man sich wie in einer Zeitmaschine und ich hätte mich nicht gewundert, irgendwann eine Kutsche und ein Tipidorf zu sehen. Unvermittelt erreichten wir den Highway 20 und näherten uns unserem Ziel für die nächsten drei Nächte: der Handboy Creek Ranch. Wir bogen nach Westen ab und erreichten irgendwann den Ort Trail City, bestehend aus vielleicht 10 Häusern. Hier in der Nähe mußte die Ranch sein, wir fanden aber nirgends ein Hinweisschild und fuhren immer weiter bis wir irgendwann nach sicherlich 10 Km ein Haus an der Straße sahen. Ich befragte die sehr netten Leute: "Handboy Creek Ranch? Klar, das ist mein Schwager! Sie müssen wieder zurück und da, wo die zwei Briefkästen an der Straße stehen, einbiegen. Dann eine Meile nach Süden, 1/2 Meile nach Westen und dann noch eine Meile nach SÜden." Aha, alles klar. Tatsächlich fanden wir nach der Beschreibung die Ranch und waren offenbar schon telefonisch angekündigt worden. Familie Jones, Jay und Brenda samt Söhnen Rio und Chance, erwarteten uns. Mein Gott, lebten die hier einsam!
Wir wurden unglaublich nett empfangen und bezogen das Bunkhaus neben dem Haus der Jones. Da wir kaum noch Sprit und morgen eine lange Fahrt vor uns hatten, lernten wir die Organisationsmöglichkeit und Nachbarschaftshilfe im Alten Westen kennen. Die Tankstelle in Trail City, dem nächsten Ort habe zu, er kenne aber den Besitzer, sagte Jay und los ging es. Die Tankstelle entpuppte sich als antiquierte Zapfsäule nebst urigem Laden, in dem wir unter der Theke auch noch einige Flaschen Bier kaufen konnten. Den Besitzer hatte Jay übrigens in seinem Haus aufgetrieben und es wurde extra für uns aufgeschlossen. Nach nettem Smalltalk ging es zurück, wo Brenda schon ein Abendessen zubereitet hatte. Wir fragten nach dem Hintergrund der weißen Besiedlung auf dem Reservat. Jay erklärte uns, daß entlang des Highways 20 früher eine Eisenbahnlinie verlaufen sei. Rechts und links der Bahn habe es einen ca. 6 Meilen breiten Streifen gegeben, der für weiße Besiedlung freigegeben worden sei. Zudem habe der Streifen auch als Grenze zwischen der Cheyenne River und der Standing Rock Indian Reservation gedient. Sie als weiße Farmer müßten an die Stammesverwaltung Steuern bezahlen. Wir berichteten über unsere Verabredung am nächsten Tag in Eagle Butte. Es entspann sich eine Diskussion über die verabredete Zeit: Mountain oder Central Time? Auf dieser Seite des Missouri gelte eigentlich die Mountain Time (oder landläufig slow time genannt, wie Jay augenzwinkernd sagte), Mobridge, der "Hauptort" außerhalb der Reservation, läge aber am östlichen Missouriufer und habe damit Central Time. Da ihr Bezugspunkt Mobridge sei, liefen ihre Uhren nach Central Time. Die Uhr in unserem Haus zeigte aber Mountain Time, die in unserem Auto Central Time, die auch in Chamberlain gegolten hatte. Die Verwirrung war komplett.