Bei wiederum heißem Wetter machten wir uns auf in Richtung des Badlands National Parks. Über Hermosa ging es nach Red Shirt, sowohl im Badlands National Park als auch direkt an der Grenze des Pine Ridge Indianer Reservates der Lakota gelegen. Teile des Nationalparkes liegen innerhalb des Reservates und werden gemeinsam von den Indianern und dem National Park Service betreut. Red Shirt war, wie schon Hermosa, ein Kaff von nur einigen Häusern. Dann ging es entlang der Kante der Badlands. Auf der einen Straßenseite war grasbewachsene Prärie, auf der anderen eine tief eingegrabene Mondlandschaft. Die Badlands sind ein angehobener, erodierter ursprünglicher Meeresboden, der noch voller Fossilien steckt. Der Anblick an der Abbruchkante war atemberaubend. Die verschiedenen Erdschichten strahlten in der Sonne in den unterschiedlichsten Farben. Darüber kreisten Greifvögel. Kein Wunder, daß die Indianer Respekt vor der Natur empfanden bei solchen Anblicken! An der Kreuzung der Straßen 2 und 41 bogen wir ab auf eine 32 Km lange Schotterpiste nach Osten, die sich durch völlig unbewohntes Land zog. Das indianische White River Visitor Center war geschlossen, schließlich war Sonntag und wir befanden uns auf exterritorialem Reservatsgelände... Zum Glück erreichten wir dort wieder eine asphaltierte Straße, und nach langer Fahrt verließen wir - für heute - das Reservat. Schließlich erreichten wir den Ort Scenic. In der Karte groß eingezeichnet und weit und breit die einzige Ortschaft. Es war ein unbeschreibliches Nest, das ganz und gar nicht "scenic" war. An der Hauptstraße befand sich ein Saloon mit der Bemerkung "für Lakota geöffnet", die gegenüberliegende Tankstelle war - es war ja Sonntag - geschlossen. Ich kam mit einer Indianerin ins Gespräch, die mir fluchend erklärte, zum Tanken müsse sie nun nach Interior fahren - 51 Km entfernt! Wir nahmen die Schotterstraße, die an der nördlichen Kante der Badlands vorbeiführte. Hier sah man links teilweise gigantische landwirtschaftliche Felder, rechts wieder die Abgründe der Badlands. Von Zeit zu Zeit gab es Aussichtspunkte mit Erklärungstafeln. Irgendwann erreichten wir den Bigfoot Paß Overlook. Nach der Ermordung Sitting Bulls auf der Cheyenne River Indianer Reservation am 15. Dezember 1890, hatte sich eine Gruppe von etwa 350 Hunkpapa Lakota mit dem todkranken Häuptling Big Foot in Panik auf die Flucht vor den Reservatsagenten und der US-Armee nach Süden begeben. Ziel war Pine Ridge, wo man sich bei Minniconjou Lakota Häuptling Red Cloud Schutz versprach. Bekanntermaßen wurde die Gruppe um Big Foot am 29. Dezember 1890 von US- Truppen eingeholt und beim Massaker von Wounded Knee, kurz vor Pine Ridge, niedergemetzelt. Als ich die steile Kante sah, die von der Prärie tief auf den Boden der Badlands führte, war mir schleierhaft, wie die Indianer samt dem sterbenskranken Big Foot und einem Pferdewagen es geschafft hatten, im bitterkalten Dezember dieses Hindernis zu überwinden. Gedankenverloren fuhren wir weiter zu unserem Quartier, der Cedar Pass Lodge, die zwar außerhalb des Reservates liegt, aber von den Lakota gemanagt wird.
Da wir fast kein Benzin mehr hatten, mußten wir den Park kurz verlassen, um zur nahegelegenen Ortschaft Interior zu fahren. Dieses "Zentrum" bestand aus einige wenigen Häusern, einer Kirche und einer völlig antiquierten Tankstelle. Die Bezahlung erfolgte in einer dunklen Spelunke auf der anderen Straßenseite. Die meisten Häuser waren mehr oder weniger verkommene Trailer und die Bevölkerung bestand wohl überwiegend aus Indianern. Unvorstellbar für uns, daß dieses Kaff hier wirklich der einzige Ort im weiten Umkreis war!
Vor dem Einchecken in die Lodge besuchten wir noch das nahegelegene Ben Reifel Visitor Center, welches einen exzellenten Überblick über Entstehung und Geschichte der Badlands gibt. Dann liefen wir noch den Cliff Shelf Nature Trail mit phantastischen Ausblicken über die Badlands und den Fossil Exhibit Trail. Hier hat man Repliken von in den Badlands gefundenen Fossilien ausgestellt. Die Hitze wurde immer brütender und bald sahen wir im Westen den Himmel immer schwÄrzer werden. Wir zogen uns in unsere Cabin zurück, bis der Wind sturmartig wurde. Die Luft entlud sich in einem gigantischen Gewitter, so daß wir dachten, das Dach des Häuschen flöge weg.
Am nächsten Tag ging es wieder bei strahlendem Sonnenschein und Hitze durch Interior nach Süden ins Pine Ridge Reservat. Pine Ridge hat unter allen Indianerreservaten den zweifelhaften Ruf, dasjenige mit der höchsten Arbeitslosigkeit und den meisten soziostrukturellen Problemen zu sein. Insofern hatte ich meine Erwartungen schon heruntergeschraubt. Die Landschaft bestand überwiegend aus rollender Prärie, die mit grünem Gras bestanden war. Häufiger sah man entlang von kleinen Bächen auch Bäume, was die Landschaft auflockerte. Die Häuser der Indianer waren leider auch hier überwiegend Trailer mit den unvermeidlichen Schrottautos rundherum. An einigen Stellen waren augenscheinlich vom Stamm auch Siedlungen aus Holzhäusern errichtet worden.
Erstes Ziel im Reservat sollte das Oglala Lakota College in Kyle sein. Leider hatte ich nicht bedacht, daß dieser Montag "Memorial Day" und damit Feiertag in den USA war. So war das College und das angeschlossene Historical Center natürlich geschlossen. Auf dem Parkplatz des Colleges traf ich trotzdem eine nette indianische Angestellte, die mir Auskunft gab. Sie sagte, das Gebäude sei ursprünglich für die Stammesregierung gebaut worden, die es dann aber dem College geschenkt habe. Wir sollten doch einmal hinter das College gehen, dort gäbe es den Pow Wow Ground, auf dem immer die Graduierungen gefeiert würden. Es war sehr bedauerlich, daß wir das College nicht an einem Werktag erleben konnten!
Also ging es weiter nach Süden, bis wir endlich die Gedenkstätte von Wounded Knee erreichten. Was hatte ich viel über diesen Ort gelesen und nun waren wir hier. Irgendwie hatte ich mir alles anderes vorgestellt, aber das ist ja wohl oft so, wenn man sich ein inneres Bild macht.... wir jedenfalls parkten an dem aus einem Raum bestehenden Visitor Center, in dem einige indianische Frauen hinter einer Theke saßen und Perlenstickereien fertigten. Eine Frau vor dem Center kam aus ihrem Auto und wollte uns gestickte Schlüsselanhänger verkaufen. Die Frauen im Center beachteten uns kaum. Die Wände des Raums waren sehr nachlässig mit Wandgemälden und Photos von Wounded Knee I und II dekoriert. Das American Indian Movement (AIM) hatte 1973 das Gelände um das Massengrab aus Protest gegen die wiederholten Menschenrechtsverletzungen in der Reservation von Seiten der US-Verwaltung für über zwei Monate besetzt, was zu einem massiven Einsatz der geballten US-Macht mit FBI etc. geführt hatte. Die Besetzung von 1973 wird nun als Wounded Knee II bezeichnet. Die Bestrebungen des AIM schienen für die Frauen im Visitor Center Lichtjahre entfernt zu sein. Es ist schwer vorzustellen, daß einer der AIM Aktivisten von damals, Leonard Peltier, heute immer noch im Gefängnis sitzt - als politischer Gefangener der USA, wie es Amnesty International ausdrückt.
Wir kletterten den Hügel zum Denkmal des Massengrabes herauf, gekennzeichnet durch den gemauerten, maroden Rundbogen. Dort wurden wir zu meinem Erstaunen von einem jungen Indianer angesprochen, was sonst gar nicht deren Art ist. Er stellte sich als "groundkeeper" des Friedhofes vor und wollte mir die Geschichte von 1890 erzählen. Zu seinem höchsten Erstaunen war diese mir, als ausländischer Touristin, sehr geläufig. So entspann sich ein Gespräch über die allgemeine Situation auf der Reservation. Er berichtete von 90 % Arbeitslosigkeit auf dem Reservat, den daraus resultierenden Alkoholproblemen von vielen Einwohnern und dem zunehmenden Desinteresse der Jugend an der Kultur der Lakota. Zu meinem Erstaunen berichtete er, daß sich viele indianische Jugendliche ausgerechnet die schwarzen Ghettogangs als Vorbild nähmen und das Reservat terrorisierten! Daß es mit dem Indian Health Service auch nicht weit her sein konnte, sah ich an seinem katastrophal zerstörten Gebiß. Er gab mir auch den in der Literatur beschriebenen, sehr laschen Händedruck der Lakota. Seine Großmutter war Überlebende des Massakers und hatte ihm beschrieben, was an diesem eisigen 29. Dezember 1890 passiert war. Die Gruppe Lakota um Big Foot war von der Armee an dem Flüßchen Wounded Knee eingekesselt worden. Als die Indianer entwaffnet werden sollten, löste sich ein Schuß. Dies nahm die US-Armee zum Anlaß, ihre auf den umliegenden Hügeln stationierten Kanonen auf das Indianercamp abzufeuern. Noch in drei Meilen Entfernung fand man die Leichen von geflüchteten Frauen und Kindern. Die gut 200 Leichen, meist Frauen und Kinder, konnten erst nach drei Tagen, nachdem ein Blizzard über das Land gezogen war, geborgen werden. Zugegen war ein Photograph aus Nebraska, der die schrecklichen Szenen für ewig festhielt. Die steif gefrorenen Leichen wurden in das Massengrab geworfen, an dem ich nun stand. Das Denkmal war übrigens vor einigen Jahren zerstört, gerade aber originalgetreu ersetzt worden. Ich habe nicht gefragt, wer das Denkmal zerstört hat... Abgebrannt sei 1975 auch das ursprüngliche Kirchlein von Wounded Knee oberhalb des Grabes. Die jetzt dort stehende sei von 1982. Abgebrannt sei vor Jahren auch ein an der Straße stehendes Museum. Es wurde nicht wieder aufgebaut.
Wir fuhren weiter in den Ort Pine Ridge, Hauptort des Reservates mit Sitz vom Bureau of Indian Affairs (BIA), der alles umfassenden Indianerbehörde und der Stammesregierung. Das Zentrum des Ortes wurde gerade neu asphaltiert und sah entsprechend chaotisch aus. Direkt an der Kreuzung befand sich eine sehr große Shelltankstelle, an der reges Leben herrschte. Da wir mit der Technik nicht klarkamen, näherte sich mir ein mittelalter zahnloser Indianer, der eine Art Zeremonie an mir ausführte - für die er dann 5 Dollar haben wollte. Seinem Atem nach zu schließen war klar, für was er das Geld brauchte. Wir gingen dann in den der Tankstelle angeschlossenen Fast Food Laden und aßen. Von dort konnten wir gut das Treiben beobachten. Hier verkehrten ausschließlich nur einheimische, sehr dunkelhäutige Indianer. Die Männer tragen fast alle das Haar traditionell lang. Auffällig war, daß fast alle ein ganz erhebliches Übergewicht hatten - in den USA leider meist Kennzeichen der Unterschicht. Da auf der Reservation über 60 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, war das aber nicht weiter verwunderlich. Auffällig waren auch die vielen Kinder. Das bestätigte für mich die Statistik, daß sich die Geburtenrate der Indianer seit vielen Jahren nunmehr wieder stark erhöht hat. Leider sahen wir bei den Bedienungen auch auffällig viele Leute mit miserablen Gebissen. Der Clou der Tankstelle war ein sprechender, sich bewegender Bisonkopf aus Kunststoff an der Wand - darunter waren historische Photos von Lakota angebracht und darunter wiederum standen Ketchup & Co. Besser konnte der Konflikt, in dem sich die Ureinwohner der USA heute befinden, nicht ausgedrückt werden! Eine alte Frau sprach uns an und wollte perlengestickte Schlüsselanhänger verkaufen, wir lehnten ab. Dann wurde mein Freund auch noch auf der Herrentoilette (!) angebettelt, das war echt zu viel für ihn, der sich hier sowieso nicht recht wohl fühlte. Wir hielten uns recht lange in der Tankstelle auf, an der es, wie überall im Reservat, keinen Alkohol zu kaufen gab. Das war auch unnötig, denn die Versorgung funktionierte auch anders gut. Da Pine Ridge in unmittelbarer Nähe zur Staatsgrenze nach Nebraska liegt, hatte sich dort der Ort Whiteclay etabliert, der aus ca. zehn Häusern bestand, die ausschließlich der Versorgung mit Alkohol dienten. Auch am Memorial Day hatten die Läden geöffnet und die Gestalten, die davor herumtorkelten, sprachen Bände. Die halbe Meile Straße zwischen Pine Ridge und Whiteclay konnte zur Not auch zu Fuß bewältigt werden und war wohl aus gutem Grunde komplett mit Straßenlaternen ausgestattet. Es war ein trostloser Anblick...
Als wir nach Pine Ridge zurückfuhren, sahen wir zwei Jungen ohne Sättel auf Pferden mitten über die Kreuzung reiten! Wir schauten uns noch das IHS-Krankenhaus und diverse andere Einrichtungen an, die allerdings alle geschlossen hatten. Einen Besuch in der Red Cloud School bei Oglala schenkten wir uns wegen des Feiertages. Statt dessen machten wir uns auf den Weg nach Osten Richtung Rosebud Indian Reservation. 1868 hatte man den Lakota im Vertrag von Laramie die Great Sioux Reservation zugesprochen, die dann immer weiter verkleinert wurde. 1889 war sie schließlich in fünf kleine aufgesplittert worden, was einem Verlust der Hälfte des Territoriums entsprach.
Nach längerer Fahrt verließen wir das Reservat und gelangten in den Teil, der als "surplus land" an Weiße verkauft worden war. Sofort änderte sich die Szenerie. Hier wurde intensiv Landwirtschaft betrieben, davon kündeten die riesigen Bewässerungsanlagen. Weil wir noch reichlich Zeit hatten, entschlossen wir uns, das LaCreek Vogelreservat zu besuchen. Über eine Schotterstraße ging es zum gut ausgewiesenen Vogelschutzgebiet. Wegen des Feiertages war das Visitor Center natürlich geschlossen. Wir nutzten trotzdem die Gelegenheit, eine Rundfahrt um eines der Bassins zu machen. Dadurch fühlte sich ein Deer gestört, was mit riesigen Sätzen von dannen sprang. Wir sahen neben Pelikanen auch noch uns unbekannte Vögel. Der Weg zurück zur Hauptstraße gestaltete sich höchst abenteuerlich, denn es gab keinerlei Hinweisschilder und wir mußten uns wirklich nach der Sonne richten. Nach recht langer Fahrt sah ich endlich die Strommasten entlang des Highways: wir hatten es geschafft!