Kaschubischer Ethnographischer Park

Mein nächstes Ziel war das Freilichtmuseum Kaschubischer Ethnographischer Park bei Wdzydze Kiszewskie. Gegründet 1906 durch einen engagierten Lehrer, wurde das Museum stetig erweitert und umfaßt heute an die 60 Gebäude auf 22 Hektar. Erfreulicherweise waren die sehr interessanten Erläuterungen zu den Gebäuden dreisprachig verfaßt auf Polnisch, Kaschubisch und Englisch. Für nur 17 Zloty (3,70 €) erhält man einen sehr guten Einblick in die ehemalige bäuerliche, nicht nur kaschubische Kultur der Gegend. Das Museum ist auf alle Fälle einen Besuch wert!

Die Straße Richtung Norden zog sich weiter durch langgestreckte Wälder des Wdzydze Landschaftsparks, der zumeist aus Kiefernwäldern auf Sandboden besteht.

Bütow / Bytów

Da ich sowieso die Stadt Bütow (Bytów) passierte, legte ich einen kurzen Stop ein. Schon von der Straße aus konnte ich die imposante Fassade der Burg Bütow sehen, 1398 wurde mit dem Bau im Auftrag des Großmeisters des Deutschen Ordens Konrad von Jungingen begonnen und die Errichtung 1404 vollendet. 1930 wurde im Gebäude eine Jugendherberge eingerichtet, 1945 nutzte der sowjetischen NKWD die Burg als Lager und täglich starben an der grausamen Behandlung 20-40 Personen. Heute ist darin ein Hotel untergebracht.

Weiter machte ich einen kurzen Abstecher auf den Marktplatz, denn ich hatte den ungewöhnlichen Kirchturm der direkt daran grenzenden Kirche St. Katharina gesehen. Dieser überstand, im Gegensatz zum Rest der Kirche, den 2. Weltkrieg. Rund um den Markt standen noch einige alte Häuser aus deutscher Zeit, an der Stirnseite aber Plattenbauten auf ehemals zerstörtem Areal. Alle Häuser waren knallbunt gestrichen, wie man es in Polen häufiger sieht. Als ich die Stadt verließ, sah ich an der Ausfallstraße noch viel alte Bausubstanz, allerdings in einem miserablen Zustand.

Stolp / Słupsk

Nun waren es nur noch gut 50 Kilometer bis zu meinem Endziel am heutigen Tage, Stolp (Słupsk), zu fahren. Ich hatte ein Appartement in einem sehr neuen Baukomplex am Rande der Innenstadt gebucht, auf welchem bis vor kurzem ein Straßenbahndepot gestanden hatte.

Der nächste Tag empfing mich mit 18 Grad und teilweise Sonnenschein. Ich war mit meinem polnischen Bekannten verabredet, der mich in Schneidemühl besucht hatte, aber eigentlich in Stolp wohnt. So hatte ich einen erstklassigen Fremdenführer. Als günstig erwies sich auch die Lage meiner Wohnung nur wenig nördlich der Altstadt, die wir dann zu Fuß erkundeten.

Stolp, 1310 mit Stadtrechten versehen und seit 1381 Mitglied der Hanse, liegt ca. 20 km südlich der Ostseeküste am Fluß Stolpe und war und ist kulturelles und wirtschaftliches Zentrum Pommerns. Unser Weg führte uns entlang des Flusses nach Süden, vorbei an der alten pommerschen Kreisverwaltung hin zu einer der schönsten Ecken der Altstadt: dicht nebeneinander stehen Mühlentor, Schloßmühle, gotisches Greifenschloß (Residenz der pommerschen Herzöge) und der nach hierhin versetzte ehemalige Kornspeicher ("Richter Speicher") aus dem 18. Jahrhundert in schwarz-weißem Fachwerk. Nur wenige Schritte entfernt steht am Flußufer die Hexenbastei, in der der Hexerei verdächtige Hexen gefangengehalten wurden. Die letzte Hexenverbrennung fand noch 1701 statt!

Im krassen Kontrast zu den bestens restaurierten alten Gebäuden stehen die Gebäude an der nahegelegenen ul. Michala Mostnika: es handelte sich unisono um Plattenbauten. Ein Blick auf ein altes Nachkriegsphoto zeigte den Grund: hier lagen 1945 nur noch Schuttberge. Nur wenig weiter befindet sich alte Bausubstanz, so z.B. die alte Post aus den 1870er Jahren. Wenig bekannt dürfte sein, daß der Begründer des Weltpostvereins und Erfinder der Ansichtskarte Heinrich Stephan aus Stolp stammte. Nur wenige Schritte entfernt steht die Marienkirche mit wuchtigem und schiefem Turm und angrenzendem alten Marktplatz. Erhalten sind hier nur 3-4 alte Häuser aus Kaisers Zeiten und eines von etwa 1925. Der Rest sind historisierende Plattenbauten. Direkt auf dem Marktplatz wurde in den 1960er Jahren ein Kino gebaut, in dessen Saal nun ein Supermarkt untergebracht ist.

Früher gab es in Stolp auch eine Straßenbahn, einen alten Wagen hat man als Denkmal in die Altstadt gestellt. Schön anzusehen ist auch das Neue Tor, ein um 1500 errichteter spätgotischer Backsteinbau. Daneben befindet sich ein großes Kaufhaus aus der Zwischenkriegszeit. Überquert man an dieser Stelle die Straße, sieht man schon von weitem das erstaunlicherweise im 2. Weltkrieg unzerstört gebliebene Neue Rathaus von 1901 im neogotischen Stil. Ein Besuch im Innenraum lohnt sich auf alle Fälle. Das gesamte Interieur inklusive Fenster ist tatsächlich noch original. Im ersten Stock findet sich die Replik eines kleinen Bärchens aus Bernstein. Gefunden wurde das einem urzeitlichen Bärenjäger gehörende Amulett bei Torfarbeiten 1887.

Zufälligerweise besichtigten wir das Rathaus gegen 11.30 Uhr und der Platz davor war bereits mit Flatterband abgesperrt. Dort standen neben zahlreichen anderen Personen drei Männer in historischen polnischen Uniformen. Was war hier los? Mein Begleiter kannte zufälligerweise zwei der Männer und stellte mich vor. Glücklicherweise sprachen beide gut Englisch und eine lebhafte Unterhaltung entspann sich. Heute sei doch der 1. September, klärte man mich auf. Ich, gedanklich im Urlaubsmodus, schaltete nicht und erntete ein Grinsen. Heute vor 82 Jahren habe doch der Überfall Hitlers auf Polen stattgefunden. Der Beginn des 2. Weltkriegs. Ich faßte mich an den Kopf: oh ja, natürlich. Wie konnte ich das vergessen! Die Männer fuhren fort: gleich fände hier eine große Zeremonie statt. Und Amerikaner nähmen auch teil. Wieder ein Fragezeichen in meinem Gesicht. Ja, klar. Ganz hier in der Nähe sei doch eine US-Militärbasis mit Raketen stationiert. Missiles, you understand? Natürlich verstand ich und berichtete den Polen zu deren Erstaunen von meiner Reise nach Kaliningrad und der Hochrüstung dort. Wenn es also knallen würde, dann in dem Bereich dazwischen...
Wir schauten alle zusammen noch der Flaggenzeremonie zu und hörten mehrere Ansprachen. Dann es ging es mit meinem Begleiter weiter durch die zahlreichen extrem gepflegten Grünanlagen der Stadt.

Die Region nordöstlich von Stolp

Bei erneut 18 Grad und strahlendem Sonnenschein am nächsten Tag entschloß ich mich zu einer Fahrt nach Norden zum slowinzischen Freilichtmuseum Klucken.
Die Geschichte der Slowinzen ist schwierig und umstritten. Auf alle Fälle handelte es sich um ein ursprünglich westslawisches Volk, welches zwischen Stolp und Leba lebte und sich von den südlicher lebenden katholischen Kaschuben durch den protestantischen Glauben unterschied. Früh assimilierten sie sich auch sprachlich in die deutsche Umgebung. Nach dem 2. Weltkrieg wurde ein Großteil der in Klucken lebenden Slowinzen vertrieben, die restlichen verbliebenen Personen versuchten nach Altvätersitte weiterzuleben. Nun entdeckte der polnische Staat die slawische Herkunft der Slowinzen und wollte mit ihnen den Beweis für eine "immer schon slawische Besiedlung" des Gebietes beweisen und betrachtete Klucken als eine Art slawisches Reservat. Die "Bewohner", die allerdings quasi kein Slowinzisch und statt dessen Deutsch sprachen, weigerten sich, polnische Personalbögen auszufüllen und forderten vehement die Ausreisegenehmigung nach Deutschland zu ihren Verwandten. 1970 wurde die Genehmigung zur Ausreise der letzten rein slowinzischen Familie gestattet, auf dem Grund und Boden der Ausgereisten war bereits ein Jahr zuvor der Slowinzische Nationalpark gegründet worden - unter dem mitleidigen Lächeln der letzten "Ureinwohner".

Die slowinzischen Häuser mit schwarz-weißen Fachwerk erinnerten mich ganz stark an westfälische Häuser - allerdings mit Reetdach. Obwohl das Museum groß überregional beworben wird, gab es keine es keine Karte des recht großen Geländes (wie im kaschubischen Museum) und die Ausschilderungen waren nur teilweise auch auf Deutsch. Schade, denn die Ausstellung ist durchaus sehenswert. Beeindruckend ist die Bilderausstellung zur Geschichte der Familien, die dort lebten. Offenbar wollten sie einfach nur ihre Ruhe haben, gerieten aber in die Mühlsteine der Geschichte und wurden zum Zankapfel der verschiedenen Weltanschauungen.
Ich warf vom Freilichtmuseum aus noch einen Blick auf die am Horizont erkennbaren, grandiosen hohen Dünen bei Leba und machte mich dann auf zur Besichtigung historischer Herrenhäuser in der Region, die mehr oder weniger entlang der Straße 213 liegen. Die entsprechenden Hinweise hatte ich erneut der phantastischen Karte http://mapa.polskaniezwykla.pl/ entnommen.

Mein erstes Ziel war der vormals im Besitz der Familie von Puttkammer befindliche Palast in Glowitz (Główczyce). Überrascht mußte ich feststellen, daß es auch hier in großem Ausmaße gebrannt hatte, und lange konnte der Brand noch nicht her sein, denn es roch immer noch verkohlt. Durch eine spätere Recherche stellte ich fest, daß ich recht gehabt hatte, denn der Brand - mal wieder sehr wahrscheinlich Brandstiftung - hatte im März 2020 stattgefunden. Nun war das Gebäude, welches den Krieg überstanden und danach als Staatsgut gedient hatte, ein zu großen Teilen verkohlter Trümmerhaufen. Ich konnte dem Drang nicht widerstehen und ging durch eine offenstehende Kellertür in das Gebäude (das gesamte Areal ist frei zugänglich). Über dem Treppenabsatz sah ich die Inschrift "Anno Domini 1910/11" und in einem Salon, dessen Decke mehr oder weniger eingestürzt war, lag noch das originalgetreue Parkett. Wie so oft war ich wieder erstaunt, was eine exzellente Baustruktur aushalten kann, bevor sie endgültig zerfällt.

Ein Beispiel für einen hervorragend restaurierten Herrensitz findet man noch wenige Kilometer weiter etwas abseits der Straße in Vixow (Wykosowo). Das Herrenhaus von 1870 im Besitz der Familie Heyn war nach dem 2. Weltkrieg ein volkseigener Bauernhof und ging dann in private Hand über, die es vorbildlich samt Park wiederherrichtete. Betrachten kann man das Gebäude durch einen schmiedeeisernen Zaun.

Wieder einige Kilometer weiter nach Osten befindet sich einer der ehemaligen Paläste der Familie von Puttkammer, einer der reichsten Familie in Pommern. Der klassizistische Palast in Poblotz (Pobłocie) beherbergte bereits vor dem 2. Weltkrieg erst ein Waisenhaus und dann ein Landjahrlager. Nach 1945 bis heute wurde in dem großen Gebäude eine Schule untergebracht.

In Zezenow (Cecenowo) liegt unmittelbar an der Hauptstraße das barocke-klassizistische Schloß der Familie von Zitzewitz, welches zur Zeit meines Besuches gerade renoviert wurde und deshalb nicht betretbar war. Offenbar war ein Schloßflügel auch noch bewohnt.

Ohne die Webseite mit ungewöhnlichen Sehenswürdigkeiten in Polen wäre ich nie auf den originalen Grenzstein aufmerksam geworden, der einst die Grenzen des Besitzes des Deutschen Ordens markierte und nun vor einem Verwaltungsgebäude in Vietzig (Wicko) liegt.

Ich fuhr weiter auf der Straße 213 und bog einige Kilometer weiter nach rechts ab, um mir in Zdrewen (Zdrzewno) die klassizistische Palastruine der Familie von Zimdarsen von 1867 mit Park anzuschauen. Zu meinem Erstaunen waren hier Renovierungsarbeiten in vollem Gange. Auf alle Fälle wurden gerade mit einem Bagger die alten Drainierungen freigelegt. Das Gebäude selbst hatte noch ein intaktes Dach, der Interieur war aber augenscheinlich weitgehend zerstört. Ganz unweit des Palastes befindet sich eine weitere Sehenswürdigkeit, eine holländische Windmühle aus dem 18. Jahrhundert mit Erweiterungen von 1930. Die Mühle war mittlerweile "ausgeschlachtet", die Flügel mit Blech beschlagen, welches im Wind knarrte.
Ich hätte meine Besichtigungstour entlang der 213 noch lange fortsetzen können. In der Gegend gibt es unzählige Herrenhäuser, Paläste, Schlösser und anderes, wie die polnische Webseite wunderschön interaktiv auflistete. Aufgrund des ausnahmsweise schönen Wetters entschloß ich mich allerdings dazu, direkt an die Küste in das bekannte Seebad Leba (Łeba) zu fahren.