Bischofstein / Bisztynek

Das Dorf Bischofstein (Bisztynek) ging ausnahmsweise nicht aus einer eine Burg umgebenden Ansiedlung hervor, sondern aus einer vorhandenen Häuseransammlung, in der überwiegend Pruzzen lebten. Der Name stammte von einem riesigen Findling, einem in der Eiszeit aus Skandinavien hertransportierten erratischen Block, dem größten in Ermland und Masuren, der zu deutscher Zeit "Griffstein" genannt wurde. Die Polen nennen ihn heute Teufelsstein. Neben dem Stein wollte ich mir auch das Heilsberger Tor, ein stehengebliebenes Stadttor, anschauen.
Kaum war ich dort aus dem Auto gestiegen, hörte ich Musik und sah einige Zuschauer. Neugierig geworden, ging ich zur Veranstaltung, bei der es ich sich augenscheinlich um ein Erntedankfest mit Folkloremusik handelte. Bei strahlendem Sonnenschein war das halbe Dorf versammelt und erfreute sich an der Darbietung.
Nach einiger Zeit ging ich weiter und wunderte mich über die für den Ort sehr große barockisierte Kirche. Das war für mich im protestantischen Preußen verwunderlich. Die Erklärung: das Bistum Ermland genoß innerhalb des Ordensstaates eine gewisse Eigenständigkeit. Somit blieb es nach der Reformation katholisch und entwickelte sich sogar zu einem Zentrum der Gegenreformation. Die katholische Kirche errichtete barocke Kirchenhäuser als Gegenstücke zu den schlichten protestantischen Gotteshäusern. Aus diesem Grunde wurde die Kirche nach einem Brand auch wieder im Barockstil aufgebaut.

Rößel / Reszel

In eine andere, historische Welt taucht man im unweit gelegenen Städtchen Rößel (Reszel). Dieses bildete den nordöstlichen Vorposten des Bistums Ermland an der Grenze zu Masuren, nachdem ein letzter Aufstand der heidnischen Pruzzen 1262 niedergeschlagen worden war. 1371 war die mächtige Backsteinburg von den Deutschrittern fertiggestellt. Weder die Burg noch das Städtchen wurden im 2. Weltkrieg zerstört und präsentieren sich im Zustand von 1806, nachdem es nach einem Stadtbrand wiederaufgebaut worden war.

Heiligelinde / Święta Lipka

Nur 6 Kilometer von Rößel entfernt befindet sich eine barocke Basilika, die man im überwiegend protestantischen Ostpreußen nicht vermuten würde. Der Wallfahrtsort Heiligelinde (Święta Lipka Lipka) gehört zu den wichtigsten Orten der Marienverehrung in ganz Polen. Bereits ab 1482 befand sich an der Stelle eine Wallfahrtskapelle. Nach Lockerung der Religionsverbote entstand Anfang des 17. Jahrhunderts ein Pilgerheim und Hospital. Nachdem die Jesuiten das Recht auf Verwaltung erhalten hatten, erfolgte 1687 die Grundsteinlegung zur jetzigen Kirche, die an Höhe alle Bauwerke Ostpreußens, auch den Frauenburger Dom, übertreffen. Ein besonderer Schatz ist die Barockorgel mit etwa 5000 Orgelpfeifen. Rund um die Baslika befanden sich die unvermeidlichen Stände mit Souvenirs und Devotionalien.

In der Nähe von Rastenburg

Bei bestem Wetter und 17 Grad machte ich mich auf zum Besuch des Masurischen Heimatmuseums nur wenige Kilometer östlich von Rastenburg in Schäferei (Owaczarnia). Der Name ist Programm, denn es führt ein 2 Kilometer langer Sandweg zu diesem Weiler, in dem eine Familie ein sehr liebevoll gestaltetes Museum betrieb, welches einen guten Einblick in das ländliche Leben im Ermland und Masuren gab. Der Besuch lohnt sich auf alle Fälle und der freundliche Besitzer spricht auch etwas deutsch und erklärte gerne die Gegenstände.

Auf dem Weg zurück nach Rastenburg machte ich einen Abstecher zum historisch bekannten Flughafen Rastenburg-Wilhelmsdorf. Dieser wurde auf einem von den Karlshöfer Anstalten enteigneten Gelände ca. 5 Kilometer von Karlshof angelegt und besteht bis heute noch mit den beiden, als X angelegten Grasstartbahnen.
Hitler benutzte den Flughafen 1941 und 42 diverse Male zu Flügen an die Front, Fritz Todt, der Leiter der Organisation Todt, verunglückte hier tödlich, und nicht zuletzt flog Graf Staufeenberg nach dem Attentat am 20.7.1944 von hier nach Berlin. Als ich die kopfsteingepflasterte Zuwegung befuhr, lief es mir kalt den Rücken herunter.

Sensburg / Mrągowo

Weiter ging es in einer guten halben Autostunde nach Süden nach Sensburg (Mrągowo), einem ebenfalls vom deutschen Orden im Herzen der Sensburger Seenplatte gegründeten Ort. Mittelalterliche Bebauung ist hier nach zwei verheerenden Stadtbränden nicht mehr erhalten, dafür erstaunlicherweise aber eine fast völlig intakte Bebauung aus dem 19. Jahrhundert, die sich rund um das schmucke Rathaus gruppiert. Die Häuser, auch die etwas weiter vom unmittelbaren Stadtzentrum entfernt, waren in einem ganz unterschiedlichen Erhaltungszustand: von sehr gut restauriert bis zum Zustand von 1945.
Vom Rathaus führte (nach dem Abriß alter Häuser) eine kleine Promenade mit Johannes Paul II.- Denkmal hinunter zum Schoß-See, von wo aus man einen wunderschönen Ausblick auf das Wasser und gegenüberliegende Ufer hatte.
Sensburg ist Zentrum des Wassersports in der Gegend - so wie Lötzen weiter nördlich. Mir persönlich gefiel Sensburg aber viel mehr, es ist nicht so touristisch überformt und "verschlimmbessert" wie Lötzen.

Einem Tip aus dem Internet folgend fuhr ich noch 8 Kilometer weiter nach Süden nach Jakobsdorf (Jakubowo). Hier sollte es noch echt masurische Holzhäuser geben. Diese entpuppten sich allerdings als ein einziges - und das war leider kurz vor dem Zusammenbruch. Schade.
Entschädigt für den Umweg wurde ich auf dem Rückweg zur Hauptstraße durch einen kleinen Abstecher zum Großen Wongel See (Jezioro Wagiel). Hier standen einige Wochenendhäuser (mit Hinweis auf einen Wachdienst!), aber man hatte auch einen Seezugang. Hier schien es, es sei die Zeit stehengeblieben.

Steinort / Sztynort

Den nächsten Tag, es war bedeckt und sehr windig, nutzte ich zu einer Fahrt über Land, um hier und da anzuhalten. Die Landwirte waren dabei, die letzten Strohrundballen von den Feldern zu holen und die Stoppelfelder zu pflügen. Auffällig waren die vielen im Einsatz befindlichen, brandneuen Trecker von Claas & Co., die die großen Pflüge zogen. Sah ich vor 20 und erst recht vor 30 Jahren noch zahlreiche Pferde in den Landwirtschaft und vor allem auch pferdegezogene Leiterwagen auf den Straßen, ist das Pferd aus Ostpreußen - bis auf Reiterhöfe und Gestüte - offenbar vollständig verschwunden. Genau zwei Privattiere sah ich in der ganzen Zeit auf Koppeln stehen…
Unverständlich für mich waren die Rundballen aus Heu, die vielerorts auf den nachgewachsenen Grünflächen vor sich hingammelten. Ebenso sah ich riesige Stapel an Strohrundballen aus dem letzten Jahr an Feldrändern - daneben hatte man die neuen Ballen abgelegt. Warum wurden die Ballen nicht verwendet? Darüber hätte ich mich gerne mit einem Landwirt unterhalten. Überhaupt waren nur wenige Kühe auf den Weiden zu sehen, es dominierten riesige Getreidefelder, teilweise sah man auch Maisfelder. Mastställe oder Biogasanlagen sah ich nirgends.
An einem kleinen Teich versorgte ein Bleßhuhnpaar noch zwei kleine Küken - in einer Größe, wie die Tierchen sie bei uns Zuhause im Juni haben. Augenscheinlich beginnt das Brutgeschäft hier deutlich später. Irgendwo in der Landschaft war eine einzelne Kuh zum Grasen angepflockt, als Gesellschaft hatte man ihr ein Schaf an die Seite gestellt. Hier schien die Zeit wirklich stehengeblieben zu sein.

Irgendwann erreichte ich Steinort (Sztynort) und entschloß mich, das Erbbegräbnis der von Lehndorffs zu suchen. Google Maps funktionierte wieder nicht auf meinem Handy, Schilder gab es auch keine. Ich wußte nur, daß das Mausoleum irgendwo am Steinorter See sein mußte. Also fuhr ich einen Schlammweg nördlich in den Wald - eine grenzwertige Fahrt mit meinem Auto. Wo kam ich heraus? An dem Kanal, der Steinorter See mit dem Mauersee verbindet - und einer Angel- und Picknickstelle, leider mit den Hinterlassenschaften von Trinkgelagen. Eine nette Aussicht auf Steinort und den Kanal war vorhanden, aber weit und breit kein Mausoleum. Also fuhr ich zurück zum Schloß und nach Süden. Irgendwo zweigte noch ein Sandweg ab. Vielleicht war es hier? Nach ca. 500 Metern (!!) stand ein Hinweisschild auf das Mausoleum, sogar zweisprachig auch auf deutsch. Warum stand das nicht an der Straße? Ich folgte dem Sandweg mit tiefen Schlammrinnen. Das sollte richtig sein? Noch ein Schild! Der Weg zog und zog sich. Mein armes Auto. Dann erschien eine uralte Eichenallee - allerdings mit ziemlichen Lücken. Der Weg wurde immer schlechter und ging nun in den Wald. Irgendwann sah ich es, das Gebäude vom Architekten des neuen Museums in Berlin… auf einem Hügel. Mit neuem Dach und eingerüstet. Rundherum waren die Fragmente eines deutschen Friedhofs. Man hatte versucht, die Gräber zu rekonstruieren. Einige Grabmale hatten tatsächlich den Vandalismus der russischen Truppen überlebt… was für eine Stimmung! Der Keller des Mausoleums war übrigens leer geräumt.
Ich fühle mich an das nördliche Ostpreußen erinnert und an die Gräber meiner Vorfahren in Niederschlesien.

Woplauken / Wopławki

Ein déja-vu hatte ich am nächsten - meinem vorletzten Tag in Karlowo, als ich mich bei bestem Wetter und 22 Grad entschloß, in das nur 1 Kilometer entfernte Woplauken (Wopławki) zu fahren. Mein alter Reiseführer von 2001 empfahl einen Besuch, ebenso wies mein Navi eine unbestimmte "Touristenattraktion" aus. Weiter recherchieren konnte ich wegen des Funklochs in Karlowo nicht. Also war ich gespannt.
Kaum angekommen, fiel mir der unübersehbare, große, aus roten Ziegelsteinen erbaute Speicher ins Auge. Davor stand sogar ein Erläuterungsschild. In das Gebäude eingelassen war die Jahreszahl 1856. Mein Reiseführer erwähnte als letzten Eigentümer Friedrich Wilhelm von Schmidtseck. Gegenüber vom Speicher befand sich eine sehr große L-förmige Stallanlage, ebenfalls aus Ziegelsteinen.
Der knapp 20 Jahre alte Reiseführer empfahl auch die Besichtigung der Herrenhausruine ein Stückchen weiter. Was war denn hier los? Das verfallene Gebäude war mit Maschendraht eingezäunt, überstall standen junge Bäumchen, vielleicht 10 Jahre alt. Da erblickte ich ein Loch im Maschendraht - solche Durchschlüpfe ziehen mich magisch an, also ging es ab auf das Gelände, auf dem kaum ein Durchkommen war. Nun sah man auch, daß hier irgendwann begonnen worden war, am Haus zu arbeiten. Teilweise waren Betondecken eingezogen worden, eine Außenmauer war recht dilettantisch aufgemauert worden. Ich krabbelte via Keller ins Gebäude. Dort hatte man irgendwann alles stehen und liegen lassen - und die Arbeiten abgebrochen.
Im ehemaligen englischen Landschaftspark hatte ein Imker zahlreiche Kästen aufgestellt. Am Eingang zum Park stand sogar noch das Eingangstor mit Familienwappen und Jahreszahl 1898.

Rastenburg / Kętrzyn

Weiter fuhr ich in die Innenstadt von Rastenburg (Kętrzyn). Ich wollte mir in der Touristeninfo einige Prospekte mitnehmen und erlebte leider mal wieder den Auftritt von deutschen Touristen im Ausland: "Wi wont to go to Wolfsschanze and castle von Döhnhoff. Ju anderstand?" Fragezeichen im Gesicht der Angestellten. Der Mann versuchte es noch mal. Diesmal lauter. Bevor die Sache eskalierte, schaltete mich ein und fragte nach, wohin er genau wolle. Steinort oder Dönhoffstädt? Der Typ hatte keine Ahnung, warf von Lehndorff und Dönhoff durcheinander - und brachte die arme Angestellte zur Verzweiflung. Erklärungsversuche meinerseits wurden nicht angenommen. Nun denn: zu Hause kann er dann aber sicher von seinem ausführlichen Trip nach Masuren berichten.

Wegen des schönen Wetters spazierte ich anschließend durch die Stadt und besuchte zum Abschluß das Stadtmuseum in der frisch renovierten Burg. Es war nicht sehr groß, vermittelte aber einen guten Überblick über die Stadtgeschichte. Leider waren die Texte im Obergeschoß nur auf Polnisch. Im Erdgeschoß hing auch ein Ölgemälde eines Vorfahren der Rittergutbesitzer von Woplauken. Auch die wenigen anderen Gegenstände aus den Schlössern der Umgebung, die das Museum sichern konnte, vermittelten einen kleinen Eindruck über die feudale Einrichtung der Häuser.

Am nächsten Morgen, bei bestem Wetter, hieß es packen und mich auf den Weg nach Westen Richtung Elbing (Elbląg) machen. Die Fahrt wollte ich selbstverständlich nicht ungenutzt verstreichen lassen und einige Besichtigungen auf dem Weg unternehmen. Einer Internetempfehlung folgend, fuhr ich zum 100 Kilometer entfernten Städtchen Mehlsack (Pieniezno). Aus den vom Navi angezeigten eineinhalb Stunden Fahrtzeit wurden letztlich zwei. Die Straßen in der Region waren in miserabelstem Zustand - und Straßenbauarbeiten in vollem Gange, die einen großen Umweg notwendig machten. Zudem hatte es angefangen, wie aus Gießkannen zu regnen. Da konnten mich die Kraniche, die ich auf Feldern sah, auch nicht mehr trösten. Die Landschaft veränderte sich spürbar. Die Felder wurden kleinteiliger, unterbrochen durch zahlreiche kleine Wäldchen. Es war fast schon wie bei mir in Westfalen.

Mehlsack / Pieniężno

Endlich erreichte ich die Kleinstadt und fragte mich schon, warum ein Besuch dahin empfohlen worden war. Mehlsack sei dem Tip nach die Stadt, in der die Spuren der Zerstörungen nach dem 2. Weltkrieg noch extrem sichtbar seien. Ich befuhr aber die Hauptstraße und sah intakte alte Bebauung. Also ging es in Richtung des Rathauses und sofort wurde mir klar, was gemeint war: auf dem Rathausplatz stand einsam der Torso des Gebäudes, die Fenster vernagelt - aber das Dach neu gedeckt. Rund um den Platz standen mit Abstand zum Rathaus neue Häuser und einige große Grasflächen waren vorhanden, wo früher Häuser gestanden hatten. Eine Kirche direkt am Rathaus, vermutlich die evangelische, war nicht wieder aufgebaut worden, die neogotische St. Peter und Paul Kirche in der Nähe hingegen schon. Direkt daneben lag die Ruine des Domkapitelvogts des Bistums Ermland im deutschen Ordensland aus dem 14. Jahrhundert.

Wormditt / Orneta

Hatte der Krieg Mehlsack übel mitgespielt, verschonte er in großen Teilen die nur 17 Kilometer entfernte Stadt Wormditt (Orneta). Das gotische Rathaus erstrahlte in neuem Glanz und ebenso die gotische Pfarrkirche. Das Rathaus umgaben Laubenhäuser, an einer Ecke allerdings durch plattenbauähnliche Gebäude ergänzt. Die alten Häuser waren in oft erbarmungswürdigem Zustand und kontrastierten zum schönen Rathaus. So stand ich bei meinem Spaziergang auf einmal vor einem traumhaften Jugendstil-Eckgebäude, sogar noch mit den originalen Fensterrahmen. Der Zustand war allerdings indiskutabel.