Québec

Direkt bei der Stadt Québec überquerten wir auf einer enormen Brücke den gewaltigen St. Lorenz Strom. Über eine schnurgerade Einfallsstraße, die Grande Allée Est, vorbei an modernen Gebäuden, ging es immer weiter in Richtung des Stadtzentrums. Mehr und mehr sahen wir eine villenartige Bebauung sowie einen riesigen Park, den Parc des Champs des Batailles. Auf einmal erreichten wir die berühmte Stadtmauer Québecs und befanden uns in einer anderen Welt.
Bereits 1608 hatte Samuel de Champlain an der Stelle, die die heimischen Algonquin Indianer "Kebec" nannten, ein Fort von strategischer Bedeutung errichtet. Wer hier saß, konnte den gesamten Pelzhandel Nordamerikas kontrollieren. Großbritannien versuchte immer wieder die Hauptstadt Neufrankreichs zu erobern, was erst 1759 gelang. Damit wurde dann die französische Herrschaft in Kanada beendet. Auch die Briten, und nicht die Franzosen, hatten die trutzigen Befestigungsanlagen errichtet.

Schlagartig war mir klar, warum die Altstadt "Vieux Québec" von der UNESCO zum Weltkulturerbe gezählt wird. Man wähnte sich in einer ureuropäischen Altstadt mit kleinen Sträßchen und - bei dem hervorragenden Wetter und strahlendem Sonnenschein bestbesuchten Straßencafés. Schnell erreichten wir unser vorab gebuchtes Hotel, daß nicht umsonst "Château" genannte Frontenac, zu Fairmont gehörend. Wir bekamen ein phantastisches Zimmer mit Blick auf den St. Lorenz Strom. Nach dem Abendessen im Hotel bummelten wir noch lange durch die Altstadt, in der reges Treiben herrschte. Die Stadt ist in der Tat sehr sehenswert, für einen Historie-verwöhnten Europäer allerdings vor allem im Hinblick auf die Tatsache, daß sie sich in der Neuen und nicht der Alten Welt befindet. Die reichlich vorhandenen amerikanischen Touristen ergingen sich allerdings in Verzückungen. Nur wenige Fahrtstunden von den USA entfernt eine solche Stadt vorzufinden ist wirklich mehr als ungewöhnlich.

In der Nacht schlug das Wetter um, der nächste Tag begrüßte uns mit Dauerregen und kalten 12 Grad. Wir fuhren mit der Zahnradbahn Funiculaire in die Unterstadt (Basseville), früher Wohnsitz der einfachen Bevölkerung. Durch die schmalen Gäßchen schoben sich trotz des miserablen Wetters unzählige Touristengruppen. Besonders der Place Royale, Punkt der ersten Besiedlung Québecs mit der Eglise Notre-Dame-des-Victoires, war extrem voll. Wir gingen entlang des Fährterminals wieder hoch in die Oberstadt Haute-Ville, alles machte wirklich einen original französischen Eindruck, verstärkt durch die durchgängig französische Beschriftung. Wir kämpften uns durch Wind und Regen über die Stadtmauer in Richtung der von 1820-32 erbauten Citadelle vor, dessen Innenbereich nur mit einer Führung besichtigt werden kann. Über die Befestigungsanlage kam man aber alleine gehen und wir nutzten einen nahegelegenen Pavillon für einen Blick über den gewaltigen St. Lorenz Strom. Vom Pavillon aus führen steile Treppen zu der am Frontenac Hotel beginnenden Terrasse Dufferin, bei schönem Wetter eine großen Attraktion der Stadt.

Bei dem immer noch schlechten Wetter machte das Laufen in der Stadt einfach keinen Spaß. Wir entschlossen uns, zu der 16 km aus der Stadt im St. Lorenz Strom liegenden Île d'Orléans zu fahren. Die Rundstraße um die schöne Insel mit vielen exklusiven Ferienhäusern und landwirtschaftlichen Flächen beträgt 70 km und wir nahmen uns viel Zeit. An einigen Stellen hatte man einen wunderschönen Blick auf Québec und auch das Frontenac konnte man sehen. Bei der Rückfahrt über die große Flußbrücke fiel uns in Brückennähe ein riesiger Wasserfall auf. Wir suchten unseren Weg dorthin und stellten fest, daß er in einem (gebührenpflichtigen) parkähnlichen Gelände samt dazugehörendem Herrenhaus liegt, dem Manoir Montmorency, nun ein Restaurant. Der imposante Wasserfall Chute de Montmorency konnte auf einer Brücke überquert werden und ein Steg führte zum Fuß der Fälle.
Den Abend beschlossen wir in einem hervorragenden Restaurant, in dem zwei Wochen vorher Prinz Albert von Monaco gespeist hatte.

Am nächsten Tag verließen wir Québec und fuhren in die Stadtrandbezirke. Dort befindet sich die Reservation der Wendat (Huronen) im Ort Wendake. Nach dem Massaker an den Huronen und ihren Missionaren durch die Irokesen 1648 in Sainte-Marie among the Hurons an der Georgian Bay hatten die 400 überlebenden Indianer und einige Missionare hier 1697 (nach einem Intermezzo auf der Île D'Orléans) eine neue Heimat gefunden. Auf die Reservatsgrenze machte kein Schild aufmerksam. Einzig die anders gestalteten Straßennamensschilder ließen auf die Reservatsgrenzen schließen. Die Bebauung des Reservats war ähnlich gepflegt wie in Odanak. Sinnigerweise sah ich im Vorgarten eines Hauses zum Kreis gestellte Tipistangen. Hier? Bei den Huronen, den Langhausbewohnern? Schnell hatten wir unser Ziel, das Freilichtmuseum Onhoüa Chetek8e ("Von gestern nach heute") erreicht. Wir waren fast die einzigen Besucher. Am Eingang empfingen uns "auf indianisch" kostümierte Ureinwohner. Einer war so dunkel, daß ich an seiner Herkunft als Hurone arg zweifelte. Er erinnerte eher an einen Cree oder Stoney aus dem Westen. Hauptattraktion des Museums war ein originalgetreu aufgebautes Langhaus samt Interieur, was wirklich die historische Unterkunft der Huronen darstellte. Mir unverständlich fand sich im Museum aber auch ein so gar nicht in die Region gehörendes Tipi. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Indianer immer wieder das Klischee der Weißen bedienen, alle Indianer Nordamerikas hätten in Zelten gewohnt. Mir war das schon auf meiner Reise 2004 nach British Columbia bei den Shushwap aufgefallen, wo mir tatsächlich Ureinwohner, deren eigentliche Unterkünfte Erdhäuser waren sagten, sie hätten das Tipi aufgebaut, weil eben alle Weißen meinten, Indianer hätten darin gelebt. Nun also auch in Wendake. Primär hatte man in dem Museum aber anscheinend auch die Vermarktung indianischer Produkte im Blick. Schmuck sowie handwerkliche Gegenstände wurden zu sehr guten, steuerfreien (!) Preisen verkauft. Alleine durch die Produktion von Schneeschuhen schafft der 2.700 Personen zählende Stamm 40 Arbeitsplätze.

Vom Reservat fuhren wir erst auf dem Highway nach Westen, bei Trois Rivières ging es über Nebenstraßen in Richtung des Winterskiortes Mont Tremblant. Die schmale Straße wand sich durch oftmals landschaftlich sehr reizvolles Gebiet, Seenlandschaften mit vielen Ferienhäusern, teilweise mit Landwirtschaft. Nach einer langen, z.T. sehr anspruchsvollen Fahrt durch die Berge erreichten wir erst Village de Mont Tremblant, den alten, sehr westernmäßigen Ort und nach einem weiteren Stück die ab den 1990er Jahren gebaute Retortenstadt Mont Tremblant. Bei eisigen 9 Grad lag am Stadtrand noch Restschnee, es waren aber kaum Besucher zu sehen. Wir hatten erwartet, eine Art Whistler (B.C.) vorzufinden, die Bebauung war aber ganz anders. Durch Zufall kamen wir mit der Frau des Immobilienmanagers des Ortes ins Gespräch. Sie berichtete uns über die extrem kurze Saison im Ort und überhaupt der Region und die Probleme, adäquate Mieter für die vielen Geschäfte zu finden.

Montréal

Von Mont Tremblant ging es zügig auf dem Highway 117 die 150 km zu unserem nächsten Ziel, der 3,6-Mio.-Metropole Montréal. Das Fahren auf dem verzwickten Highwaysystem war extrem schwierig, das Hotel Place d'Armes in der Innenstadt mit ihrem Einbahnstraßen und Baustellen zu finden eine reife Leistung. Leider hielt das Hotel im nachhinein so gar nicht, was es versprach. Ein schlechtes Essen im Hotelrestaurant mit dem Charme einer Bahnhofshalle, eine ebenso ungemütliche Bar, die morgens auch noch als Frühstücksraum diente - für ein nicht diskussionswürdiges "kontinentales" Frühstücksbüffet. Neben anderen Dingen war dieses kein guter Auftakt für die Stadtbesichtigung.
Montréal, 1535 von Jacques Cartier "entdeckt", wurde 1642 gegründet. Am Fuße des Mont Royal wurde die Siedlung Ville-Marie gegründet, die bald Hauptumschlagplatz für Biberfelle wurde. 1760 wurde die Stadt britisch.

Der nächste Tag in der Stadt empfing uns mit kalten 6 Grad, über den Place d'Armes mit anliegender Basilique Notre-Dame gingen wir durch das Chinesenviertel zur Rue Ste. Cathérine, "der" Haupteinkaufsstraße der Stadt. Shopping Center reiht sich hier an Shopping Center, Les Ailes de la Mode, La Baie, Ogilvy usw. Von hieraus hat man auch einen Zugang zur Untergrundstadt, einem unterirdischen Fußgängernetz. Oftmals gab es aber oberirdisch bestechende Perspektiven von alt/neu wie an der Chatédrale Christ Church. Überhaupt dominieren die Stadt die zahlreichen sehr hohen, modernen Hochhäuser. Durch die Straßen der quadratisch angelegten Stadt fegte ein sehr ungemütlicher, kalter Wind. Gegen Nachmittag, als es schon etwas wärmer war, gingen wir zum Hafen Vieux Port mit seiner schönen Promenade. Von dort aus gelangten wir zum Zentrum der Altstadt, dem Place Jacques Cartier, zum Entsetzen der frankophonen Montréaler gekrönt mit einer Lord Nelson Statue. Am und um den Platz in den schmalen Gassen herrschte Touristenbetrieb. Man brauchte nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie es hier im Juli und August aussehen würde. Selbst den einen und anderen Straßenkünstler hielten die kalten Temperaturen nicht von einer Darbietung ab. Ein Montréaler berichtete uns von den extremen Wintern in der Stadt. Alleine im letzten hätten vier Meter Schnee gelegen! Die städtische Schneeräumtruppe hat solche Wetterunbilden - im Gegensatz zu der in New York - aber im Griff. Werden die Straßen nicht zeitgerecht geräumt, wird eine Strafe fällig.
Das Essen in einem vom Hotel empfohlenen, angeblich erstklassigen Restaurant der Stadt entpuppte sich als Reinfall. Schnell wie in den USA wurden wir abserviert und nutzten die verbliebene Zeit zu einem weiteren Bummel durch die Altstadt.

Die Mohawks von Oka

Wir waren nicht ganz unglücklich, die Stadt am nächsten Morgen zu verlassen. "Nebenbei" sahen wir noch den gigantische Turm des Parc Olympique, denn in Montréal waren 1976 die Sommerspiele ausgetragen worden. Entgegen meiner ursprünglichen Planung den Highway 40 zu fahren, wählten wir die landschaftlich schönere, nördliche Route entlang des Ottawa River. Bei Oka führte eine winzige Fähre über den sehr breiten Fluß und bei schönstem Sonnenschein schaute ich mir das Treiben in dem kleinen Hafen an. Am Fährsteg waren noch zwei Erläuterungsschilder zur Geschichte des Ortes (natürlich nur in Französisch) angebracht, die ich interessiert las. Darin stand, daß auch heute noch in Oka viele Mohawk wohnten und an den Ort ein "freies Territorium" - kein Reservat - der Mohawk grenze: Kanesatake. Über Nebenstraßen fuhren wir nichtsahnend durch den sehr gepflegten Ort bis wir wieder auf die Hauptstraße stießen. Dort trauten wir unseren Augen nicht: es standen mehrere TV-Übertragungswagen auf der Straße, Menschen liefen aufgeregt hin und her und die Polizei war auch vertreten. Wir dachten an einen ganz schlimmen Verkehrsunfall oder ähnliches, bis ich etwas entfernt die brennenden Baumstämme auf der Straße und vermummte, fahneschwingende Menschen sah. Was war denn hier los? Langsam näherten wir uns dem Zentrum des Geschehens und ich sah, daß es sich bei den Vermummten um Indianer handelte, die die Straße genau am Eingang des "Reservats" blockierten. Ich kam gar nicht zu weiteren Überlegungen, da wurde mir schon das Mikrofon eines Reporters vor die Nase gehalten, ein Kameramann filmte die ganze Szene. Auf Französisch wurden wir gefragt, ob wir wüßten was hier los sei. Ich: "Keine Ahnung. Was denn?" Der Reporter: "Irgendwas wegen deren Land." Ich war hin- und hergerissen mit den Indianern zu sprechen und über eine Durchfahrt zu verhandeln. Im Kofferraum des Wagens hatte ich schließlich stapelweise Fachliteratur noch aus New York und mit Sicherheit mehr Ahnung über indianische Geschichte als sämtliche Reporter vor Ort. Auf der anderen Seite wußte ich genau, radikalisierte Indianer, womöglich unter Alkoholeinfluß stehend, einzuschätzen. Mittlerweile schwante mir nämlich, wo wir hier unwissentlich gelandet waren. Die "Oka Crisis" von 1990 hatte hier stattgefunden!

Exkurs

Die Oka-Krise war eine Auseinandersetzung der Mohawk mit der Gemeinde Oka in deren 78tägigem Verlauf es auch zu Toten kam. Die Krise entzündete sich an Plänen von Bürgern der Stadt Oka, einen Golfplatz auf Land auszudehnen, das von den Mohawk beansprucht wurde. Daraufhin begannen die Indianer Barrikaden zu errichten. Drei Monate später, am 11. Juli 1990, begann die Quebecer Polizei, die bewachten Barrikaden anzugreifen, wobei es zu einem Schußwechsel kam. Dadurch eskalierte die Krise. Aus der lokal begrenzten Forderung der Mohawk bezüglich des Landbesitzes wurde ein allgemeiner Anspruch auf Anerkennung ihrer Unabhängigkeit. Nicht nur auf Kanesatake, sondern auch anderen Mohawk-Reservaten kam es zu Auseinandersetzungen. U.a. wurden alle südlichen Zuwegungen nach Montréal komplett blockiert. Letztlich eskalierte die Situation und der Premierminister von Québec rief die kanadische Armee zur Hilfe, die am 26. September 1990 die letzten Barrikaden räumte. Erst 1997 erwarben die kanadischen Behörden das Gelände von der Gemeinde Oka und gaben es den Mohawk. Die Oka Krise bildete den Auftakt zu einer Reihe gewalttätiger Auseinandersetzungen indianischer Völker Kanadas mit dem kanadischen Staat im späten 20. Jahrhundert.

Wir entschlossen uns, einen Umweg zu fahren. Dieser führte sinnigerweise über einen Nebenweg genau ins Reservat, wo die anderen Bewohner friedlich vor ihren Häusern saßen. Kanesatake sah streckenweise nicht so herausgeputzt aus wie Odanak oder Wendake. Entlang der Hauptstraße, die wir irgendwann wieder erreichten, reihte sich Tabakladen an Tabakladen (steuerfrei!) sowie die Stammesverwaltung. Von dieser Seite aus war die Hauptstraße auch nicht gesperrt, wohl leitete Polizei den Verkehr um. Am Nachmittag hörte ich im Radio und las am nächsten Tag, daß es sich um den 2. Aboriginal Day gehandelt habe, der überall in Kanada ohne Zwischenfälle verlaufen sei. Ganz so stimmte das ja nicht....

Nach dem Verlassen des Reservats reihte sich ein kleiner Ort an den anderen, alle sehr gepflegt. Über lange Strecken boten sich wunderschöne Ausblicke über den sehr breiten Ottawa River. Bei Montebello besichtigten wir das Manoir Papineau, den ehemaligen Herrensitz des "Seigneurs" Joseph Papineau von 1803. Seigneurs waren die Herren einer "Seigneurie", einem aus Frankreich stammenden Landbesitzsystem. Die Seigneurie bei Montebello hieß "La Petite-Nation", die kleine Nation.

Direkt neben dem Herrensitz liegt eines der größten Blockhaushotel der Welt, Montebello. Bei traumhaftem Sonnenschein und 26 Grad spazierten wir am Ottawa River entlang. Kurz vor Ottawa überquerten wir mit einer Fähre den Fluß, was unglaublichen Spaß machte und erreichten auf der anderen Uferseite die Provinz Ontario. Ab hier war wieder alles Britisch gepolt. Wir gerieten mitten in Ottawas Rushhour und brauchten für die letzten 2 km zum Fairmont Château Laurier sage und schreibe 45 Minuten. Das Hotel ist auch im klassischen Schloßstil erbaut und wir bekamen ein sehr schönes Zimmer.