Auf dem Rückzug aus dem Osten war die 6. Armee in Rumänien angekommen (Photos von den Kämpfen in Rumänien). Entlang des westlichen Dnjestr hatte sie Stellung bezogen und erwartete in den Tagen vor dem 20. August eine russische Großoffensive. Die Verteidigungslinie war stark befestigt und reichte bis zu 5 Kilometer zurück. Im Landesinneren war eine weitere Kampflinie aufgebaut, die aus einem Schützengraben am Ufer des Steppenflusses Kogälnik bestand. Am Sonntag, den 20. August gegen 4 Uhr früh setzte dann den 3. Ukrainische Front zum Großangriff südlich von Tiraspol an. Bewußt wurden Frontabschnitte gewählt, an denen rumänische Truppen lagen, die weniger kampfstark waren. Vom Botna-Tal bis nach Leontina war die 306. Infanterie-Division eingesetzt, südlich davon standen rumänische Einheiten. Der Verteidigungsabschnitt der 306. ID war Luftlinie 6 Kilometer lang und völlig unübersichtlich. Erschwerend kam hinzu, daß sich ca. 1/3 der Mannschaft wegen akuter Malariaerkrankung in den rückwärtigen Sanitätseinrichtungen befand.
Nach Augenzeugenberichten verließ die 4. rumänische Gebirgsdivision sofort beim beginnenden russischen Angriff ihre Stellungen und damit war die rechte Flanke der 306. ID ungeschützt. Offenbar waren schon in der Nacht vom 19. zum 20. August Russen eingesickert und um 10 Uhr morgens umfuhren russische Panzer deutsche Stellungen. Der Gefechtstand der Division lag morgens im Ort Ermoclia, der nur noch von einigen Pionieren verteidigt wurde. Die 306. ID war schon da weitgehend zerschlagen.
Die Nacht vom 20. auf den 21. August wurde bei Ermoclia verbracht. Am 21.8. wurden die Reste der 306. ID dem Kommandeur der 13. Panzer-Division unterstellt. Mittags starb dann der Führer der 306. ID auf dem Weg von Ermoclia zum Gefechtsstand der 13. Panzer-Division, auch gab es keinerlei Funkverbindungen mehr. Am Abend wurde Ermoclia offiziell verloren gemeldet und mein Großvater wurde offiziell vermißt gemeldet.
In der Nacht vom 21./22. August setzten sich die Reste der 306. ID auf rückwärtige Stellungen ab. Die Division sollte nach Romanesti ausweichen und dort, dem XXIX. Korps unterstellt, eine Riegelstellung besetzen. Gefechtslärm im Rücken der Division signalisierte, daß russische Truppen bereits weiter nach Westen vorgerückt waren. Die 306. ID zog sich am 22.8. in Richtung Comrat zurück. Dort hinterließ sie schwere Waffen und startete nördlich Comrat den Durchbruch nach Westen. Eine durch Treibstoffmangel bedingte Rast in einer Talmulde wurde von den sowjetischen Truppen am Nachmittag zu einem Angriff genutzt, wodurch die 306. ID nun endgültig zerschlagen wurde. Ein Sammeln der versprengten Soldaten war in dem nun zum Hintergelände der Front gehörenden Gebiet unmöglich. Der Armeegefechtsstand der 6. Armee befand sich vormittags noch im Comrat. Aufgrund der vorrückenden russischen Truppen erteilte der Oberbefehlshaber General Fretter-Pico den Befehl, die Truppen hinter den Fluß Pruth zu verlegen.
Am 23. August erteilte der rumänische König seinen Truppen den Befehl zur Einstellung der Kampfhandlungen und schloß einen Waffenstillstand mit den Sowjets. Die Deutschen wurden von dieser Entscheidung - trotz diverser Warnungen - völlig überrascht. Gleichzeitig rückten die russischen Truppen weiter von Norden und Osten auf Comrat zu. Die 6. Armee kämpfte noch in dem östlichen, noch nicht von den Russen eroberten Bereich des Pruth. Bei Leova und Kagul bestanden auf dem Westufer des Flusses schwache Sicherungstruppen an den Brückenköpfen. Der Rückzug der Deutschen ähnelte nun eher einer heillosen Flucht nach Westen, wobei der Pruth eine ganz erhebliche Sperre darstellte. Womöglich bezieht sich die Erzählung des Kriegsheimkehrers auf das Abtreiben meines Großvaters in einem Fluß auf die Überquerung des Pruth. Dieser ist - als Nebenfluß der Donau - alles andere als schmal.
Eindringlich schildert der als Arzt bei der 306. ID eingesetzte Franz Fritzsche in seinem Kriegstagebuch die Zeit vom 20.8. bis 27.10., einer Zeit, in der die Division bereits kein eigenes KTB mehr führte. Auf den eng beschriebenen 32 Seiten wird sogar einmal die Veterinärkompagnie erwähnt - und zwar für den 24. August. Die Reste der Einheit hatten den Pruth überquert und bewegten sich in südliche Richtung: "Vet.Komp. auf dem Marsch hauptsächlich mit HiWi [= "Hilfswilligen"]. Jeder Mann hat 6 Handpferde!"
Reste der 6. Armee und auch die 306. ID schlugen sich auf der südlichen Schiene über Buzau Richtung Ungarn durch. Rehm berichtet davon, daß schon am 26.8. nur noch der Buzau-Paß offenstand, da die Straße über Ploesti von bewaffneten Rumänen gesperrt war. Ende August stauten sich tausende Fahrzeuge vor dem Buzau-Paß. Auf den Fahrzeugen saßen zahllose Versprengte, Bodenpersonal der Luftwaffe und Schwestern; es wurde versucht, die enge, einbahnige Straße hinaufzukommen. Dabei mußten schwere Fahrzeuge, wie ein Brückenponton, in die Gebirgsschluchten gestürzt werden. Auf der Paßhöhe beim Dorf Buzaului stellte sich heraus, daß die nach Kronstadt weiterführende Hauptstraße von bewaffneten Rumänen gesperrt war. Es wurde eine einigermaßen befahrbare Nebenstraße erkundet, die nach 6 Km ungarisches Territorium erreichte.
Die Situation im Buzau-Tal muß völlig chaotisch gewesen sein. Zwischen dem 30.8. und 4.9. wurden die rückziehenden Truppen vor allem mit Munition durch 43 Ju 52 versorgt. Einem Flugzeugführer gelang es sogar drei Mal, in dem engen Tal zu landen und Frauen und Verwundete auszufliegen.
Ab dem 2. September wurde die Kolonne von russischen Truppen, u.a. der Kavallerie, angegriffen. Generalleutnant von Scotti hatte einen gemischten Kampfverband aufgestellt, der Angriffe anwehrte und auf dem Kamm der Karpaten eine Verteidigungsstellung einrichtet. Die Fahrzeugkolonne setzte ihren Weg über eine morastige Hochmoorstraße durch das Buzau Tal fort Richtung rumänisch-ungarischer Grenze.
Reste der 306. ID und mit ihnen auch der Arzt Fritzsche vom Pionier Batallion marschieren ebenfalls durch das Buzautal. Sind sind am 2. September in Crasna und folgen der Straße weiter nach Norden. Am 3. September machten sie auf einer Karpartenhöhe neben einem "Knüppeldamm" Rast und überqueren kurz darauf die Grenze nach Ungarn. Über eine Serpentinenstraße geht es hinab ins Tal und weiter nach Norden nach Reci. Am Tag darauf bezieht das Bataillon eine "Riegelstellung" im 4 Kilometer östlich gelegenen Egerpatak (heute ggf. Bita) und bleibt dort bis zum 7. September.
Am 9. September wurde die Kampfgruppe von Scotti durch General Winkler übernommen, der südlich von St. Georgen / Sepsiszentgyörgy eine Verteidigungslinie einrichtete. Um eine Verbindung nach Norden zur ungarischen Grenze zu schaffen, wurde aus Splitterteilen der 13. Panzer-Division unter Major Grade eine Truppe zusammengestellt. Zwischen Hermannstadt und Kronstadt versammelten sich nun - gegnerische- rumänische Verbände. Kronstadt war am 7. September von russischen Truppen eingenommen worden.
Das Kriegstagebuch der Heeresgruppe Südukraine konstatiert am 5. September 1944: "Es besteht keine Hoffnung mehr, daß sich noch irgendwelche geschlossenen Verbände durchschlagen werden. Es ist dies die größte Katastrophe, die die Heeresgruppe betroffen hat. Verloren sind 5 Korps-Stäbe (...) und 18 Divisionen (306., ...)." Beim Suchdienst des Roten Kreuzes lagen 1962 ca. 80.000 Suchanträge nach ehemaligen Wehrmachtsangehörigen vor, die die letzte Nachricht aus Rumänien gaben und seitdem verschollen sind.
Mit der Einnahme Kronstadts verstärkten sich die Angriffe auf den sogenannten Szekler-Zipfel, so daß dieser ab dem Abend des 7. September geräumt wurde. Die 6. Armee, bestehend nur noch aus der Kampfgruppe Winkler und umbenannt in 15. Division, zog sich in Richtung auf den Fluß Maros zurück.
In der Nähe von Kronstadt wurde mein Großvater am 4. Oktober 1944 gefangengenommen. Es ist zu vermuten, daß er sich, nachdem er die Großoffensive des 20. August und die Zerschlagung der 306. ID bei Comrat überlebt hatte, den in den Berichten erwähnten Versprengten Truppen der 6. Armee angeschlossen hat. Seine Chancen, als Angehöriger einer Veterinärkompanie zu überleben, waren um einiges höher als von anderen Truppenteilen. Von der 79. ID überlebten immerhin 40 % der Veterinärkompanie. Inwieweit er in seinem Alter von immerhin schon 43 Jahren noch der Kampftruppe von Scotti/Winkler angehört hat, ist nicht mehr nachvollziehbar. Auf alle Fälle muß er um den 7. September von der rückweichenden Kolonne abgeschnitten worden sein. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Bemerkung Fritzsches in seinem Tagebuch vom 5. September: "Wieder kommen Versprengte über die Berge".
Die 4 Wochen bis zur Gefangennahme meines Großvaters liegen im Dunkeln. Es ist erstaunlich, daß er sich dem russischen Zugriff so lange entziehen konnte.
Aus Rumänien erreichte mich 2018 die Nachricht eines Enkels eines rumänischen Soldaten. Dieser hatte z.Zt. des Bündnisses des rumänischen Königreiches mit dem Deutschen Reich im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Sein Enkel ist die Rückzugstrecke der 306. ID mit dem Auto abgefahren und hat mir die dabei entstandenen Photos zur Verfügung gestellt.
Sehr interessant ist der Bericht eines Angehörigen des 306. Pionier-Bataillon. Diesem gelang die Flucht nicht über Buzau, sondern über die Donau. Hier ist dieser Bericht nachzulesen.
Berichte über die Flucht durch Rumänien in der Fachliteratur gibt es bei Sörensen und Schiebold. Sörensen berichtet in seinem bekannten Werk "Finale Rumänien", daß sich die Rumänen den in rumänischen Lagern internierten deutschen Kriegsgefangenen sehr freundlich gegenüber verhalten hätten, sie sogar mit Lebensmitteln versorgt hätten. Auch berichtet er von üppigen Feldern, von denen er sich ernährte. Vielleicht decken sich die Erlebnisse meines Großvaters auch mit denen von Kurt Schiebold. Er beschreibt seine Flucht seit der Augustoffensive als Angehöriger der 6. Armee bis zu seiner Gefangennahme in den Karpaten am 2. Oktober. Er bewegte sich in wechselnden Kleingruppen fort, ernährte sich vorwiegend von Wald- und Feldfrüchten, wurde aber häufiger auch in rumänischen Dörfern versorgt. Seiner Beschreibung nach wimmelte es Ende September überall in den Karpaten von versprengten deutschen Soldaten, die versuchten, sich nach Ungarn zu deutschen Truppen durchzuschlagen. Diese Versprengten waren außerordentlich verzweifelt, weil sich die Front immer weiter zurückzog und sich von ihnen entfernte. Sie selbst liefen dauernd Gefahr, von russischen Truppen aufgespürt zu werden und bewegten sich nur bei Nacht. Auch bei Cartellerie schildert ein Leutnant die Fluch über den Pruth sehr anschaulich. Die Situation aus Siebenbürger Sicht schildert Kroner. So suchten im Herbst 1944 viele durch die Karpaten vorgedrungene deutschen Soldaten Rumäniendeutsche Familien auf und ersuchten Hilfe, die ihnen trotz des hohen Risikos auch gewährt wurde. Im Spätherbst 44 wurden die Razzien und Hausdurchsuchungen so intensiv, daß sich Soldaten in Verstecke in den Bergen zurückzogen. Dort wurden sie von Rumäniendeutschen Familien versorgt. Kam es zu Entdeckungen, wurden auch die Helfer mitverhaftet.
Jedenfalls wurde am 9. Oktober die 306. Infanterie-Division offiziell aufgelöst. Fritzsche berichtet von einer Auflösung der Division bereits am 23. September und daß das Gros der Truppe zur 76. ID ginge.
Quellen:
Hans Kissel: Die Katastrophe in Rumänien 1944, Darmstadt 1964 (= Beiträge zur Wehrforschung V/VI); Hans Friessner, Verratene Schlachten. Die Tragödie der deutschen Wehrmacht in Rumänien und Ungarn. Hamburg 1956; W. A. Mazulenko: Die Zerschlagung der Heeresgruppe Südukraine. August - September 1944. Berlin (O) 1957. Operation Jassy-Kischinew. Ein schwarzer Tag für die Deutschen. H. Sörensen: Finale Rumänien. Die Tragödie der 750.000 Kriegsgefangenen. Berlin 1949; K. Schiebold: Opfergang in Rumänien. Tübingen 1952; M. Kroner: Vor 50 Jahren: Flucht - Deportation - Enteignung - Entrechtung. Sie Siebenbürger Sachsen - 23. August 1944 bis 1947. Nürnberg 1994. W. Rehm: Jassy. Schicksal einer Division oder einer Armee? Neckargemünd 1959; D. Cartellieri, die deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Die Lagergesellschaft, Bd. 2, München 1967, S. 22f. E. Hartman: Persönliches Tagebuch über den Zusammenbruch in Rumänien 19.8.-15.9.1944, 306. ID, Heft 1, 1987;
K. Hoppe: Der Zusammenbruch in Rumänien beim GR 580 19.8.-8.9.1944, 306. ID, Heft 1, 1987;
J. Hyza: Zusammenbruch in Rumänien beim GR 580 August 1944, 306. ID, Heft 1, 1987;
Pionier Btl. 306: Verluste 19.-24.8.1944, 306. ID, Heft 3, 1989;
E. Niehaus: Feldersatz Btl. 306. Erinnerungen August 1944 und Gefangennahme, 306. ID, Heft 3, 1989;
J. Hyza: GR 580: der 20.8.1944, 306. ID, Heft 3, 1989;
Siegfried Ehnert: Erinnerungen an den Einsatz in der Ukraine 1943 und die Flucht aus Rumänien im August 1944 als Angehöriger des Pionier-Bataillons 306 in der 306. Infanterie-Division, 1996, überarb. 2014/15 ;
Franz Fritzsche: Persönliches Kriegstagebuch 20. August 1944- 27. Oktober 1944. Bearb. von D. Fritzsche 2012. Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg MSG 2/19092, 19093.
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Rußland und Rumänien - Vom Dnjepr zum Dnjestr, Oktober 1943 - Mai 1944
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