Ziel unseres Tagesausfluges waren eigentlich die laut meinem Reiseführer nahegelegenen Sulphur Springs. In, wieder einmal, totaler Ermangelung von Schildern, konnten wir uns nur nach der Himmelsrichtung orientieren. Mitten auf der schmalen Straße, die wir meinten fahren zu müssen, stand aber ein Einheimischer und winkte uns unmißverständlich nach links. Also nahmen wir den linken Straßenabzweig - eine Fehlentscheidung, die uns einen Umweg von einer Stunde bescherte! Der Mann hatte uns zwar nicht in die Wüste aber in die Berge geschickt. Ein Drehen des Wagens, als uns klar war, falsch gefahren zu sein, war unmöglich. Einheimische, die wir in unserer Not befragten, schüttelten den Kopf über die dummen Touristen, versuchten uns dann aber in kompliziertesten Beschreibungen den Weg zu dem Vulkan zu beschreiben. Wir waren schier verzweifelt. Es ging durch Täler, mit enormen Steigungen auf Berge, wieder hinunter... Irgendwann standen an der Straße 2 Frauen, die uns zuwinkten. Wir hatten den Eindruck, sie wollten uns was sagen. Jedenfalls stoppte ich den Wagen, worauf sie sich freudig ins Fond setzten. Das Zeichen war die St. Lucianische Art für Anhalter! Die beiden Damen im weihnachtlichen Sonntagsstaat dirigierten uns dann jedenfalls hocherfreut Richtung Vulkan, nachdem sie sich ausgiebig darüber erkundigt hatten, wie es uns auf der Insel gefiele.

Endlich hatten wir "die" Attraktion der Insel erreicht: den Drive-In-Vulcano. Hierbei handelt es sich um einen eingestürzten Vulkan ("Caldera"), dessen Innerstes immer noch aktiv ist. Zu besichtigen sind blubbernde, nach Schwefel riechende Schlammtöpfe und eine vom Schwefel gelb gefärbte Umgebung. Nach Bezahlung eines happigen Eintrittspreises wurde uns eine Führerin zugeteilt, die uns mehr oder weniger interessiert die Historie des Vulkans erläuterte. Die Bezeichnung Drive-In rührt daher, weil man über den erodierten Kraterrand eine Straße gebaut hat, mit der man in der Tat in die Caldera fahren kann. Für mich als Geographin war der Besuch nach den Besichtigungen von aktivem Vulkanismus auf Hawaii und im Yellowstone Park sehr interessant.

Zurück ging es über die offizielle Straße nach Soufriere, in der Tat nur ein kurzer Trip. Oberhalb von Soufriere hatten wir dann phantastische Ausblicke auf die Wahrzeichen der Insel, die beiden Pitons, ebenfalls vulkanischen Ursprungs. Der Gros Piton mißt immerhin 798 m und steigt direkt über dem Meer spitz auf. Ein wundervoller Anblick.

Nach längerer Fahrtzeit erreichten wir den Ort Canaries, dessen größtes und wohl auch besterhaltenes Gebäude die Kirche war. Wegen des Feiertages saßen viele Leute vor den Türen ihrer Häuser und genossen die freie Zeit. Ein ähnliches, aber noch ärmlicheres Bild bot sich uns später in Anse la Raye. Was von einer Anhöhe noch pittoresk ausgesehen hatte, stellte ich bei nahem Hinsehen als sehr spartanische kleine Fischerhäuschen heraus. Die Gelder des Tourismus sprudelten hier ganz offenbar noch nicht!

Abends im Hotel kam es zu einer denkwürdigen Begebenheit. Wegen des Feiertages gab es am Strand ein großes Büfett mit anschließenden Limbotanzvorführungen. Auf einmal direkt am Wasser ein größerer Menschenauflauf: jemand hatte eine frisch geschlüpfte Schildkröte im seichten Wasser entdeckt. Wie kam die denn hierher? Ich befragte die Hotelangestellten. Ungerührt berichteten sie mir, daß des öfteren die großen geschützten Meeresschildkröten abends an den Strand kämen, um dort ihre Eier abzulegen. Ein Unterfangen, was natürlich wegen des tagsüber herrschenden Strandbetriebes von vornherein zum Scheitern verurteilt sein muß. Weiter sagten die Angestellten, daß sie die Schildkröten dann immer versuchten, wieder ins Wasser zu scheuchen. Da der ganze Bereich von Rodney Bay aber touristisch genutzt wurde, war mir schleierhaft, wo die Tiere denn nun ihre Eier ablegen sollten. Hier sahen wir ganz klar die negativen Effekte von Tourismus auf die heimische Tierwelt....

Am nächsten Tag wollten wir nicht mehr so weit fahren, wie am Tag zuvor. Unser Reiseführer pries den Besuch der Zuckerrohrplantage Marquis Estate in der Nähe der Atlantikküste an. Über die Plantage hatte ich auch auf den Internetseiten der St. Lucia Tourismusbehörde gelesen, also entschlossen wir uns, dorthin zu fahren.

Das Problem begann schon damit, den Abzweig ins Landesinnere von der (Haupt-) Küstenstraße zu finden. Instinktiv ("also noch weiter dürfen wir wirklich nicht fahren") fanden wir die Straße, die sich steil in die Berge wand. Begrüßt wurden wir durch einen tropischen Regenschauer, der das Fahren auch nicht einfacher gestaltete. Langsam aber sicher ging es voran. Uns fiel die dichte Besiedlung der Insel auf. Überall sahen wir Häuser oder lose Häuseransammlungen, um die herum sich kleine Gärtchen zur Eigenversorgung fanden. Von der kleinen, ärmliche Holzhütte bis zum sehr edlen Steinhaus waren alle Bauarten vorhanden. Auffällig auch die vielen, um diese Tageszeit noch geschlossenen "Rumshops", die typischen Landeskneipen St. Lucias. Wie schon an der Hauptstraße gab es im Landesinneren absolute keine Wegweiser, uns blieb nichts anderes übrig, als sich an der Himmelsrichtung zu orientieren, denn auch eine vernünftige Landkarte war auf der ganzen Insel nicht zu erstehen. Irgendwann half uns auch unser Orientierungsinn nicht weiter, in einer Häuseransammlung hielten wir und fragten eine Einheimische, ob wir denn nun rechts oder links abbiegen müßten. Mit Bestimmtheit sagte sie "rechts", beriet sich dann aber mit einer Bekannten, korrigierte zu "links". Also fuhren wir langsam die schmale Straße in linke Richtung. Auf einmal kam uns die Frau hinterhergerannt und rief aufgeregt "nein, doch rechts!".

Also fuhren wir rechts, um festzustellen, daß nun überhaupt keine Asphaltierung auf dem Weg mehr vorhanden war. Mit europäischer Naivität dachten wir, daß uns die Frau mit unserem Auto (kein Allrad) doch wohl niemals auf eine längere unasphaltierte Piste schicken würde - aber weit gefehlt. Der Weg war normalerweise bestenfalls mit einem 4x4 Fahrzeug zu befahren. In weniger als Schrittgeschwindigkeit suchte ich mir eine Spur über Steine, ausgeschwemmte Rinnen und Schotter. Das konnte doch nicht wahr sein. Selbst ein Drehen war unmöglich. Wir waren fest davon überzeugt, daß uns die Frau auf eine Abkürzung geschickt hatte, es aber noch eine "richtige" Zuwegung zur Plantage geben müsse. Die Schotterpiste führte entlang von Bananenplantagen, in denen Leute die Stauden schlugen und in kleinen Hütten am Weg sofort in Pappkartons verpackten. Die Bananenstauden waren in blaue Tüten verpackt, um sie an der Pflanze nicht vorzeitig reifen zu lassen. Wir wurden bestaunt wie ein Weltwunder. Wer führe schon mit einem solchen Auto über eine solche Holperpiste. Mir fiel die Warnung der Autovermieterin ein, daß es verboten sei, über nicht asphaltierte Straßen zu fahren!

Nach über 40 Minuten Fahrt sahen wir endlich Gebäude - das mußte endlich der vielgepriesene Marquis Estate sein! Auf der Terrasse des "Herrenhauses" sah ich Personen, auf die ich zuging. Es kam mir eine weiße Frau entgegen, die mich mit amerikanischen Akzent recht unfreundlich fragte, was ich denn wolle. Ich erzählte von meinem Reiseführer und den angepriesenen Plantagentouren, worauf sie schnippisch antwortete, sie machten das seit 2 Jahren schon nicht mehr, sondern hätten sich auf Reittouren spezialisiert. Wo wir aber schon mal hier seien, erlaube sie uns "einen kurzen Blick" auf die historische Zuckermühle. Auf meine Nachfrage, wo wir denn dann auf die "richtige" Straße wieder zurück kämen, meinte die Amerikanerin nur: Die Holperpiste sei die "richtige Straße". Na dann...

Also schauten wir uns auf dem Gelände um. Mir fielen sofort eine Reihe von Pferden auf, die im erbarmungswürdigsten Zustand waren. Einige dieser Hungergestelle führten sogar Fohlen! Wasser gab es bei der Hitze keines und das Futter bestand aus einigen verdorrten Sträuchern. Selten habe ich so arme Kreaturen gesehen, in Deutschland ganz klar ein Fall für den Tierschutz, aber hier sollten sie noch als Reitpferde dienen...
Auch die Zuckermühle war eine einzige Enttäuschung. Das Gebäude war eine totale Ruine, der hintere Bereich schon weitflächig eingestürzt. Das Innere war komplett ausgeräumt worden und nichts, außer vielleicht dem alten Kamin, ließ mehr auf die einstige Historie schließen. Nach dieser Desillusion blieb uns nichts anderes übrig, als wieder über die Holperpiste zurück zu fahren.
Ein Nachspiel hatte die Sache auch noch. Bei unserer Hotelconcierge hatte ich mich nach dem Marquis Estate erkundigt und nach dem Weg gefragt (den mir keiner beschreiben konnte). Als ich der Concierge abends von der Tour berichtete, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. Natürlich habe sie gewußt, daß es dort keine Plantagentouren mehr gäbe und das der Weg unbeschreiblich schlecht sei. Klar wisse sie, daß es im Landesinneren keine Beschilderung gäbe. Auf die Idee, uns vor der Fahrt zu warnen, ist sie allerdings nicht gekommen... Jedenfalls hatte mir die Tour bei den Hotelangestellten ganz schnell den Ruf einer unerschrockenen Fahrerin eingebracht, die nun allgemein bewundert wurde. Allein schon die Idee, als Weißer mit einem eigenem Wagen ins Landesinnere zu fahren, schien den Einheimischen völlig abwegig!

Trotz der Erfahrungen des vorherigen Tages entschlossen wir uns auch am nächsten Tag zu einer Tour ins Landesinnere. Auf dem Programm stand es Besuch des Fond Latisab Creole Park, in dem ein Einblick in kreolische Kultur vermittelt werden sollte. Die Fahrt durch die Berge gestaltete sich ähnlich abenteuerlich wie zuvor. Berg rauf, Berg runter, kleine Dörfer aber keine Schilder. Uns wieder nach der Himmelsrichtung orientierend erreichten wir schließlich den Ort Babonneau, scheinbar eine Art Regionszentrum, denn es fanden sich neben einer Vorschule noch eine Primar- und Sekundarschule sowie Verwaltungseinrichtungen. Mitten im Ort eine Kreuzung - aber wieder keine Schilder! Also ging es weiter nach Gefühl, was uns auch diesmal nicht trog. Nach einigen Kilometern erreichten wir tatsächlich den Park und waren die einzigen Besucher!

Wir wurden freundlich empfangen, mußten erst einmal kein Eintrittsgeld bezahlen und bekamen eine interessante Einführung in die Flora und Fauna der Insel: gezeigt wurden uns Mußkatnußbäume, Ingwer, Cassava, Maniok, Brotfrucht, Bananen sowie die traditionelle Art des Fischfanges. Auch zum Programm gehörte eine Holzsäge-Vorführung mit Musik und Tanz. Ich erfuhr die Unterschiede zwischen Patois und Französisch, worauf mir unser Führer lachend sagte, sie könnten zwar die Franzosen verstehen, die aber nicht sie! Schließlich zeigte man uns auch noch die Zubereitung der Cassavawurzel und das Backen von Cassavabrot auf einer heißen Eisenplatte. Gemischt mit Gewürzen eine äußerst schmackhafte Sache. Wir erfuhren dann auch noch über die Sorgen der Bananenfarmer, die im Clinch mit den US-Großkonzernen liegen. Die tropischen Bananen sind zwar viel kleiner als die von den Amerikanern angebauten Sorten, dafür aber auch viel geschmacksintensiver und süßer. Großbritannien als ehemalige Kolonialmacht unterstützt die Bananenfarmer St. Lucias mit dem Aufkauf der Früchte. Gezeigt wurden uns Plastikverpackungen für die englische Kaufhauskette Marks & Spencer, die große Mengen abnimmt. Ganz zum Schluß, als wir uns schon wunderten, wurden uns doch noch 20 EC $ pro Kopf Eintritt abgenommen.

Da wir noch Zeit hatten und uns nun auch schon an die Fahrerei im Landesinneren gewöhnt hatten, entschlossen wir uns zu einer Tour in den tropischen Regenwald. Somit steuerten wir den Piton Flore Nature Walk am Fuße des gleichnamigen Berges an, wieder einmal kein einfaches Unterfangen. Zu unserem Erstaunen war das Eingangstor zum Waldlehrpfad verschlossen und nirgends irgend jemand zu sehen, der für das Öffnen zuständig sein könnte. Neben dem Tor hatten sich allerdings offensichtlich schon andere Leute Zugang zum Wald verschafft, man konnte es einfach umgehen und so machten wir es dann auch.

Ein grob befestigter Fußpfad führte durch interessante tropische Vegetation. Viele Bäume waren beschriftet. Etwa 40 Minuten folgten wir dem Weg, wobei es sich offenbar nicht um einen Rundweg handelte, sondern uns immer weiter vom Eingang entfernte. Der Wald war allerdings nicht mehr ganz naturbelassen. Die ältesten Bäume waren vielleicht 50 Jahre alt, richtige "Urwaldriesen" waren nicht zu sehen, die waren offensichtlich schon einmal gerodet worden. Trotzdem konnte man gut feststellen, wie die Insel früher einmal bewachsen gewesen sein mußte. Auffällig war das völlige Fehlen von Tierstimmen. Ob da die Einheimischen für tabula rasa machten? Das es immer dunkler wurde, mußten wir leider den Rückweg antreten, ohne das Ende des Weges erreicht zu haben.

Ich wollte mich nach diesen anstrengenden weiten Touren am nächsten Tage erholen und schlug die Fahrt zum "nahegelegenen" Cas en Bas vor. Die Ortsbezeichnung hatte ich auf einer unserer Karten gefunden. Angeblich gäbe es dort unmittelbar an der Atlantikküste eine alte Zuckermühle. Los ging es zur Rodney Bay Marina, von dort rechts ab. Die ersten 500 m war die Straße noch asphaltiert, dann begann wieder das alte Spiel: eine Holperpiste. Diesmal noch schlechter als zuvor, da der Regen extreme Rinnen in den über hügeliges Gelände führenden Pfad gerissen hatte. Einige Male waren wir wirklich kurz vor der Umkehr.