Das parallel zum Wasser verlaufende Sträßchen Dlugie Pobrzeze (Lange Brücke) war übervoll mit Verkaufsständen und Besuchern. Wir waren mitten in den Dominikanermarkt hineingeraten, der immer in den ersten zwei Augustwochen Tausende von Besuchern in die Stadt lockt. Stand reihte sich an Stand. Verkauft wurde neben Unmengen an Bernstein in allen Variationen auch Kunsthandwerk und Kitsch. Noch dichter wurde der Besucherstrom auf unserem Weg entlang des Flusses nach Süden zum Krantor (Żuraw). Es ist die größte Hebekonstruktion des Mittelalters und diente lange Zeit auch als Wehrtor. Heute ist es Danzigs bekanntestes Wahrzeichen. Nach dem Durchqueren des Frauentors (Brama Mariacka) erreichten wir mit der Frauengasse (ul. Mariacka) die wohl schönste Straße der Stadt. Diese relativ kurze Straße ist gesäumt von schmalen, hohen Bürgerhäusern mit den für Danzig typischen Beischlägen. Darunter versteht man der Eingangstür vorgelagerte Terrassen, zu denen einige breite, bequeme Stufen hinaufführen. Die Treppenaufgänge sind oftmals durch Skulpturen verziert. Heute hat der Tourismus die Straße fest im Griff, man findet zahlreiche Bernsteingalerien, andere Geschäfte als auch diverse Straßencafés. Zur Zeit unseres Besuches war die Straße schlichtweg komplett übergelaufen.

Die Frauengasse führt direkt auf die imposante Marienkirche (Kościół Mariacki) von 1343 zu. Sie ist die größte Backsteinkirche der Welt und an der Außenfassade wurde auch jetzt noch gearbeitet. Der Innenraum der dreischiffigen Kirche beeindruckt durch seine Weite und Helligkeit. Eine Reihe von Kunstwerken hat die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs überstanden. Hauptattraktion bei Touristen ist die 14 m hohe Astronomische Uhr aus dem 15. Jahrhundert.

Bereits von der Marienkirche aus sieht man die wunderschön restaurierte Fassade des Großen Zeughauses (Wielka Zbrojownia) von 1602. Von hier aus sind es nur noch wenige Meter bis zum bedeutsamsten Zentrum Danzigs, dem Königsweg, über den einst Polens Monarchen in die Stadt einzogen. Dieser führte vom hohen Tor, welches nicht umsonst an einen Triumphbogen erinnert über die Langgasse (ul. Długa) und den Langen Markt bis zum Grünen Tor an der Mottlau. An das Hohe Tor (Brama Wyżynna) schließt sich der gotische Stockturm (Wieża Wiezienna). Einen Kontrapunkt zu dem Backsteingebäude bildet das Goldene Tor (Złota Brama) von 1612. Durchquert man dieses, findet man sich nicht nur in einer unglaublichen Menschenmasse wieder, sondern betritt auch eine der ältesten Straßen der Stadt. Wunderschön bereits den 1950er Jahren restauriert, reihen sich hier auf 400 m Länge ehemalige Danziger Patrizierhäuser aneinander. Besonders zu erwähnen ist das Uphagenhaus (Dom Uphagena) mit Museum und das Ferber-Haus (Dom Ferberów). Kurz darauf erreicht man das Rechtstädtische Rathaus (Ratusz Głównego Miasta), unübersehbar mit dem 180 m hohen Turm. Zu meiner großen Enttäuschung war das darin befindliche Museum der Stadtgeschichte wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.

Am Rathaus weitet sich die Langgasse zum Langen Markt (Długi Targ), der zur Zeit unseres Besuches ebenfalls vollständig von Touristen mit Beschlag belegt wurde. Im Rahmen es Dominikanermarktes war auch vom Goldenen Tor aus die Langgasse beidseitig mit Verkaufsständen belegt. Wunderschön zu betrachten sind auf dem Langen Markt der Artushof (Dwór Artusa), Neptunbrunnen (Fontanna Neptna) und das Goldene Haus (Złota Kamienica). Am Grünen Tor (Brama Zielona) endet der Königsweg und man erreicht die Uferpromenade an der Alten Mottlau.

Wir schlenderten über eine Brücke zur Speicherinsel (Wyspa Spichrzów), wo direkt am Flußufer zur Gaudi des Publikums Bungeespringen von einem Kranausleger angeboten wurde. Entlang des Flusses, vorbei an den Verkaufsstellen, ließen wir uns bis hin zum alten Fischmarkt (Targ Rybny) treiben. Hier, und auf der Promenade des Altstädtischen Grabens, hatten augenscheinlich nicht-professionelle Händler ihre Stände aufgebaut und verkauften allerlei Flohmarktkitsch und Krempel. Ein "Antiquitätenstand" verkaufte auch allerlei Gegenstände aus der Nazizeit und alte deutsche Familienphotos.

Fahrt in die Region von Człuchów (Schlochau)

Der letzte Tag unseres Aufenthaltes war einer Fahrt ins Ungewisse widmet. Ich hatte die Idee gehabt, mir auf der Suche nach dem Vorbesitzer meines aus Polen stammenden Ponys Land und Leute in der Umgebung Danzigs anzuschauen. Die Adresse des Vorbesitzers hatte ich aus dem mittlerweile für jedes Pferd vorgeschriebenen Equidenpaß. Ich hatte allerdings keine Ahnung, ob die Leute überhaupt noch in diesem Ort wohnten, ob wir sie antreffen würden und ob man sich verständigen könne. Der Ort lag laut Google Maps rund 170 km südöstlich von Zoppot. Eine Recherche ergab, daß bis 1945 genau hier die Grenze zwischen dem Deutschen Reich und dem so genannten polnischen Korridor verlief. Der Ort, damals noch "Linde", lag auf deutscher Seite.

Los ging es auf der gleichen Strecke, die wir schon Richtung Marienburg gefahren waren. Wo wir dort von der Autobahn nach links abgebogen waren, mußten wir jetzt nach rechts abbiegen. Die Hauptstraße 22 ist die Hauptdurchgangsstraße in Richtung Stettin und in recht gutem Zustand. Sie führt über den Pommerschen Höhenrücken durch ausgedehnte Wälder und Agrarlandschaft. Augenfällig war die Tatsache, daß hier kein Mais sondern in erster Linie Getreide angebaut wurde. Die Ernte war in vollem Gange. Wir durchquerten einige kleinere Ortschaften, dann bei der Stadt Chojnice (Konitz) trauten wir unseren Augen nicht: die Straße war zu einer großzügigen Stadtumgebung nagelneu ausgebaut. Hier ließen augenscheinlich EU-Mittel grüßen. Ein Stück weiter erreichten wir Człuchów (Schlochau) mit wunderschön restaurierten Gebäuden aus der deutschen Kaiserzeit. Zur Besichtigung der weithin sichtbaren Burganlage mit hohem Turm, romantisch oberhalb eines Sees gelegen, blieb leider keine Zeit. Diese Burganlage war vom Deutschen Orden bis 1367 auf dem östlich des Ortes gelegenen Schloßberg errichtet worden. Es war die nach der Marienburg zweitgrößte Festung des Ordens.

Wir verließen die Hauptstraße und fuhren nun in die tiefste Provinz. Der Landkreis Schlochau war nach dem Inkrafttreten des Versailler Vertrages 1920 in Teilen der Grenzmark Posen-Westpreußen zugeordnet worden und die polnische Grenze ("Polnischer Korridor") lag nun nur etwa 10 Kilometer östlich der Stadt. Die von uns gesuchte Ortschaft Lipka befindet sich zwar näher an Człuchów, gehörte aber schon zu deutscher Zeit zum Kreis Flatow (heute (Powiat Złotowski). Lipka (Linde) erlangte eine gewisse Bedeutung durch den Bau der Preußischen Ostbahn 1871, die als Verbindung zwischen Berlin und Königsberg angelegt worden war.

Die Straßen wurden nach Durchquerung von Człuchów deutlich schlechter und die Orientierung konnte nur anhand einer guten Karte erfolgen, denn die Beschilderung war hier auch recht dürftig. 30 km ging es über Land, bis wir außerhalb von Lipka endlich die Bauernschaft gefunden hatten, die die Adresse auswies.

Wir fanden die Bauernschaft und einige Häuser, die aber nicht die richtige Hausnummer trugen. Unvermittelt standen wir in einer kleinen Häuseransammlung, die allerdings einen anderen Bauernschaftsnamen trug. Die Siedlung wurde durch eine bestens renovierte große Kirche dominiert, die völlig untypisch für die Region in schwarz-weißem Fachwerk errichtet war. Ich fühlte mich sofort an mein heimisches Westfalen erinnert! Neben der Kirche fand sich ein verkommenes Gebäude deutscher Provenienz, offenbar hatte es bis 1945 als Dorfkneipe gedient. Diese Aufgabe übernommen hatte augenscheinlich ein schräg gegenüberliegendes kleines Gebäude, in dem ein Tante-Emma-Laden untergebracht war. Auf der Bank davor saßen einige ältere Leute und tranken Bier. Ich versuchte, mich nach der Adresse zu erkundigen. Ein alter Mann sprach in der Tat noch wenige Brocken Deutsch, kannte aber die Leute von der Adresse nicht. Es entsponn sich eine rege Diskussion mit weiteren Leuten vor und in dem Laden. Schließlich wußte jemand Bescheid und bedeutete mir den Weg. Dieser führte allerdings unasphaltiert mitten in einen Wald. Das konnte doch nicht richtig sein! Wir kehrten um und ich versuchte weitere Leute zu befragen, unter anderem ein Trio, welches mit einem uralten Pferdewagen unterwegs war. Die allesamt zahnlosen Gesellen hatten offenbar auch schon reichlich getrunken und waren bester Stimmung. Weiterhelfen konnten sie mir allerdings auch nicht. Also entschlossen wir uns zu einem letzten Versuch und fuhren nochmals den Waldweg entlang.

Nicht zu fassen, hinter dem Wald standen tatsächlich noch einige Häuser, u.a. das mit der richtigen Hausnummer. Gerade überlegte ich, ob ich wohl klingen solle, da kam ein Mann mit einem Kind auf einem Moped heran und wollte zu dem Haus. Ich kramte meinen Zettel mit den vorbereiteten polnischen Sätzen hervor und zeigte ihn ihm. Tatsächlich, der Vorbesitzer des Ponys wohnte noch hier und der Mann auf dem Moped war sein Sohn. Mittlerweile hatte sich die gesamte Familie auf dem Hof um uns geschart. Sie konnten es nicht fassen, da standen tatsächlich die Käufer ihres Ponys aus Deutschland vor der Tür. Sofort wurden wir hereingebeten, aber eine Kommunikation war natürlich kaum möglich. Ich bemerkte, daß ein anderer Sohn losgeschickt wurde. Nach kurzer Zeit kam er in Begleitung einer alten Dame zurück. Die begrüßte uns im schönstem westpreußischem Dialekt "Sie sprechen Deutsch?" Wie sich herausstellte, war die Frau mittlerweile 85 Jahre alt und hatten augenscheinlich nach dem Krieg einen Polen geheiratet. Auf meine kurze Nachfrage winkte sie nur ab. Darüber wollte sie augenscheinlich nicht sprechen. Auf alle Fälle war sie eine hervorragende Dolmetscherin, der Deutsch mit der Zeit immer flüssiger von der Zunge ging. Offensichtlich hatte sie seit Jahren, wenn nicht gar Jahrzehnten kein Deutsch mehr gesprochen.

Ich erfuhr bei dem Besuch die gesamte Vorgeschichte meines Ponys. Das war von der überaus netten Familie gezüchtet und nur aus Geldmangel sehr schweren Herzens verkauft worden. Zahlreiche der neun Kinder und diverse Enkel des Mannes hatten auf dem Tier reiten gelernt. Die Familie war nun mehr als erfreut zu hören, daß das Pony in gute Hände gekommen war. Eindringlich habe man den Händler beim Verkauf beschworen, es nicht zum Schlachter zu bringen.

Nach diesem sehr ausgiebigen und höchst erfolgreichen Besuch wurde es Zeit, wieder aufzubrechen. Wir wichen von unserem ursprünglichen Plan, durch die kaschubische Schweiz zurück nach Zoppot zu fahren ab, weil uns der Weg überwiegend über Nebenstrecken geführt hätte. Wegen der schlechten Beschilderung auf dem Lande entschlossen wir uns für die sichere Variante, dem Nehmen des gleichen Weges, den wir gekommen waren.

Resümee: Danzig und Umgebung sind unbedingt eine Reise wert! Viele Sehenswürdigkeiten konnten wir bei unserem Kurzurlaub leider nicht besichtigen. Möchte man sich außerhalb der hervorragend durch die Stadtbahn SKM erschlossenen Orte Gdingen, Zoppot und Danzig bewegen, sollte man bei Anreise mit dem Flugzeug unbedingt ein Auto mieten. Dies ist problemlos von Deutschland aus möglich. Der Kauf einer detaillierten Karte ist vor dem Fahren mehr als angeraten, denn abseits der Autobahn ist die Beschilderung katastrophal. Danzig und die Marienburg waren zur Zeit unseres Besuches leider komplett überlaufen, besser wäre sicher ein Besuch zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt. Die Verständigung erfolgt in den größeren Orten und bei jüngeren Leute meist gut auf Englisch. Teilweise wird Deutsch gesprochen. Auf dem Lande sieht das allerdings anders aus! Geld sollte man vorzugsweise in einer Wechselstube (Kantor) wechseln, weil man hier die besten Kurse bekommt. Am Flughafen, Bahnhöfen und Banken sind die Kurse unglaublich schlecht. Gleiches gilt, wie überall auf der Welt, für Hotelrezeptionen.


Literaturempfehlungen:


- Gawin, Izabella, Schulze, Dieter: Danzig. Ein illustriertes Reisehandbuch. Bremen 2008
- Torbus, Tomasz: Polen. München 2009 (= Polyglott on tour)