Nach dieser Gewalttour (Autofahren im Westen Irlands ist in keiner Weise mit dem in Deutschland zu vergleichen, sondern ungleich anstrengender), wollte ich mich an nächsten Tag nicht mehr so weit vom Hotel wegbewegen. Somit entschloß ich mich zu einer Rundfahrt um die östlich von Clonakilty gelegene Halbinsel. Als erstes ging es zum in der Nähe des Ortes Ring gelegenen Ringforts Lisnagun, welches zu meinem großen Ärger wegen Renovierungsarbeiten bis 2003 geschlossen war. Ein Gang über ein anliegendes Feld ließ zwar einen groben Einblick zu, war aber nicht das, was ich mir vorgestellt hatte.

Weiter ging es über schmale von Hecken gesäumte Sträßchen, an denen sich rechts und links Kuhweiden und kleine Gehöfte befanden. Ab und zu fand sich auch das eine oder andere Getreidefeld. Immer mal wieder näherte sich die Straße der zerklüfteten Küste und eröffnete spektakuläre Blicke über den Atlantik. Auf einmal "in the middle of nowhere" sah ich ca. 20-30 parkende Autos, konnte mir nicht erklären, was die Fahrer hier wohl wollten. Auf einmal sah ich, daß sich zwischen den steilen Felsen der Küste ein extrem breiter Sandstrand gebildet hatte und die abgehärteten Iren lagen am Strand oder badeten im eiskalten Wasser!

Ich setzte meine Fahrt über den etwas größeren Ort Courtmacsherry, wo ich eine größere Gruppe Ponyreiter überholte, nach Timoleague fort. Der Ort an der Mündung des Argideen wird durch die Ruinen einer aus dem 13. Jht. stammende Franziskanerabtei dominiert. Die eindrucksvolle Anlage wurde zwar 1642 von den Engländern zerstört, ist aber noch recht gut erhalten. Die ehemaligen Innenräume werden heute als Friedhof genutzt. Der Ort Timoleague selbst besteht nur aus einigen gepflegten Querstraßen.

Am nächsten Tag durchquerte ich auf dem Weg zum östlich gelegenen Touristenzentrum Kinsale wieder Timoleague. Die Landschaft hinter Timoleague veränderte sich wieder drastisch, so bestimmten großflächige Getreidefelder das Bild. Nach Kinsale waren es nur ca. 40 km aber die Fahrt dauerte wieder entsprechend lang. Als erstes stand das 3 km südlich von Kinsale gelegene, aus dem 17. Jht. stammende Charles Fort auf meinem Besichtigungsplan. Bei dem Fort handelt es sich um eine riesige am Meer strategisch ungemein günstig gelegene sternförmige Festung, eine der schönsten ihrer Art in Europa überhaupt. Mich erinnert sie sofort an die Festung El Morro, die wir auf Puerto Rico besichtigt hatten. Von den massiven Festungsmauern konnte man die ganze Bucht von Kinsale überblicken. Eine sehr informative Ausstellung erläuterte die Geschichte der Anlage und berichtete auf eindringlich Weise vom harten Leben der Besatzung über die Jahrhunderte.

Der Ort Kinsale selbst, "der" Touristenmagnet Irlands, stellt er doch für viele den Prototyp einer irischen Kleinstadt dar - entsprechend war, wieder bei strahlendem Sonnenschein, der Rummel, der mich empfing. Am Hafen fand sich sofort das erste riesige Souvenirgeschäft, im Ort drängte sich Pub an Pub, Restaurant an Restaurant. Alle hatte Tische und Stühle auf die Bürgersteige gesetzt, die bei dem schönen Wetter entsprechend gut besetzt waren. Alles hatte schon fast mediterranes Flair, wären da nicht die bunt gestrichenen Holzfassaden der Geschäfte gewesen. Hauptsehenswürdigkeit ist Desmond Castle, ein aus dem 16. Jht. stammendes kleines Kastell, welches heute ein Weinmuseum (!) beherbergt.

Da ich noch Zeit hatte, entschloß ich mich, nicht den direkten Weg zurück nach Clonakilty zu nehmen, sondern an der Küste entlang zu fahren. Ziel war die weit ins Meer ragende Landspitze Old Head of Kinsale, zu der eine malerische Straße führte. Den auf der Spitze stehenden Leuchtturm schon fest im Blick konnte ich es nicht fassen: der Weg dorthin war durch ein massives Tor samt hohem Stacheldrahtzaun gesichert, an dem ein Schild prangte: Eingang nur für Mitglieder. Mitglieder? Hinter dem Zaum, auf der gesamten äußersten Spitze befand sich ein Golfplatz, zu dem - und dem Leuchtturm - man nur durch das durch Kameras und einen Wächter gesicherte Tor gelangen konnte. Ich konnte es nicht fassen! Entschädigt von dieser Enttäuschung wurde ich allerdings durch einen Traumblick von der zerklüfteten Steilküste auf das Meer. Das wunderschön warme Wetter nutzte ich zu einer Rast im Gras und schaute mir das Treiben der Seevögel an, die in Scharen die Küste bevölkerten. Eine unvergleichliche Stimmung!

Weiter ging es dann an der Küste entlang, wo ich an einigen Stellen durch extrem breite Sandstrände überrascht wurde, die in erheblichem Maße von Erholungssuchenden frequentiert wurden. An einem wurde sogar Eselreiten angeboten. Offenbar waren diese großen, aber sehr einsamen Badebuchten Geheimtips von irischen Touristen und Einheimischen. Nicht-Iren sah man dort nicht.

Den nächsten Tag nutzten wir wieder zur Erkundung der näheren Umgebung unseres Hotels und besuchten die westlich von unserem Hotel gelegene Halbinsel. Teilweise führte das Sträßchen an der Küste vorbei, manchmal durch das Landesinnere. Auch hier trafen wir auf einmal an einer völlig unverhofften Stelle auf einen breiten Sandstrand von dem aus wir einen Blick auf den weiter entfernten Leuchtturm Galley Head hatten. Spontan entschlossen wir uns, zum Leuchtturm zu fahren.

Wir orientierten uns immer an der Himmelsrichtung und die ohnehin schon schmale Straße wurde immer noch schmaler. Dann galt es auch noch einen Bauernhof zu überqueren, an dessen Eingang ein unübersehbares Schild mit der Aufschrift "Private Property" und dem Verbot, die angrenzenden Weiden zu betreten, prangte. Da wir keinen Hinweis darauf fanden, daß auch das Überqueren des Hofes verboten sei, fuhren wir weiter. Der ohnehin schon enge Weg verschmälerte sich auf ca. 1,50 m. Dann waren wir schon ganz nah am Leuchtturm, als sich rechts und links des Weges hohe Natursteinmauern auftürmten. Ein Drehen mit dem Auto war unmöglich, Rücksetzen ebenfalls, also fuhren wir weiter. Das Tor zum Gelände des Leuchtturms stand weit offen, allerdings auch mit einem "Durchgang-Verboten-Schild" ausgestattet. Also beließen wir es dabei, wendeten auf dem Gelände nur unseren Wagen und fuhren die ganze abenteuerliche Strecke wieder zurück.

Als sich unser Kurzurlaub schon langsam dem Ende entgegen neigte wollten wir uns doch auch noch mit 180.000 Einwohnern Irlands drittgrößte Stadt Cork anschauen. Nach ca. einer Stunde auf der uns schon bekannten N 71 erreichten wir die Innenstadt, in der dichter Verkehr vorherrschte. Hier war fahrerisches Können gefragt! Die Altstadt Corks liegt zwischen 2 sich gabelnden Armen des Flusses Lee und ist durchaus überschaubar. Glücklicherweise fanden wir vergleichsweise schnell in Altstadtnähe ein Parkhaus und konnten uns zu Fuß die Stadt ansehen. Da Cork keine spektakulären Sehenswürdigkeiten hat, beschränkten wir uns auf einen Spaziergang durch die wuseligen Straßen, die sich in vielen Bereichen noch das Flair einer Kleinstadt bewahrt hatte. Daneben gab es aber auch große Kaufhäuser wie Marks and Spencer und ein Shopping Centrum, auf dessen Vorplatz wir von (drogensüchtigen?) Teenagern um Kleingeld angebettelt wurden. Alles in allem machte Cork einen gepflegten Eindruck und mußte auf die Bewohner des irischen Westens sicher schon großstädtischen Eindruck machen.

Nach ca. 2 Stunden setzten wir unsere Fahrt in Richtung Cobh (gesprochen Couv, d.i. in Englisch cove) fort. Cobh liegt ca. 25 km von Cork entfernt auf der Halbinsel Great Island. Das Städtchen, welches von 1849-1921 nach dem Besuch der Queen Victoria den Namen Queenstown führte, war einst Irlands größter Auswanderungshafen. Daneben war es auch Marinestützpunkt und Handelshafen. Der Ort liegt an einem Hügel und besteht aus terrassenförmig angeordneten bunten Häuserreihen, die von einer völlig unproportional großen Kathedrale überragt werden.

Ich wollte unbedingt das Cobh Heritage Centre direkt am Hafen besuchen, da sich für mich persönlich sozusagen der Kreis schließen sollte. Nach unserem Besuch New Yorks mit der Einwanderungsinsel Ellis Island im letzten Jahr, war ich auf die Geschichte der Einwanderer neugierig geworden. Eine Kopie der vor dem Heritage Centre befindlichen Bronzeplastik befindet sich auch auf Ellis Island. Sie stellt eine irische Mutter mit ihren Kindern dar, die ersten Einwanderer, die je auf Ellis Island abgefertigt wurden. Das Heritage Centre vermittelt sehr eindrucksvoll multimedial das Schicksal der vielen Millionen Iren, die teils freiwillig, teils gezwungenermaßen, ihr Heimatland verließen und sich auf dem Weg in die neue Welt machten. Daneben werden auch noch die Dramen der Titanic und Lusitania aufgezeigt. Cobh war die letzte Anlegestelle der Titanic vor ihrer fatalen Weiterfahrt und der Luxusdampfer Lusitania sank im 1. Weltkrieg in der Nähe vor Kinsale. Die Überlebenden wurden damals in Cobh betreut.
In der Nähe des Centres direkt am Hafen finden sich Denkmäler für die Opfer beider Katastrophen.

Auf dem Rückweg nach Cork, noch auf Great Island, befindet sich auch der 280 ha große Fota Estate mit einem Wildlife Park und Arboretum, in dessen Mitte sich das Herrenhaus befindet. Da die Anlage um 18 Uhr schloß, schlenderten wir nur noch durch das interessante Arboretum.

Fazit: In den 23 Jahren seit meinem letzten Besuch hat sich Irland doch merklich verändert. Unübersehbar die vielen Schilder über von der EU geförderte Projekte. Keine neue Straßenkreuzung, kein Museum bleibt aus zahlreichen Europa-Geldtöpfen ungefördert. Auffällig waren die extrem gepflegten Orte, und diese Aussage bezieht sich nicht nur auf Orte mit Tourismusverkehr. Alle Häuser glänzten in frischen Farben und die Blumendekorationen waren wunderschön. Insgesamt war die Stimmung in der Gesellschaft auch etwas liberaler geworden, auf unserer Hoteltoilette gab es sogar einen Kondomautomaten - undenkbar 1979! Die Anzahl der Kinder pro Familie scheint sich nach meinen Beobachtungen nunmehr auf 3 eingependelt zu haben, damals lag sie noch erheblich höher. Die Bevölkerung ist nach wie vor extrem freundlich und hilfsbereit, wenn auch oft, trotz bester Englischkenntnisse meinerseits, häufig schwierig zu verstehen.
Aufgrund der schwierigen Straßenverhältnisse ist es an und für sich sinnvoller, eine Rundfahrt zu machen, man erspart sich so viel sinnlose Kurverei. Will man wirklich über Land fahren, reicht eine normale Straßenkarte im Maßstab 1:300.000 nicht aus. Die Beschilderung auf dem Lande ist chaotisch, oft sind Schilder nur aus einer Fahrtrichtung zu lesen, so daß man auf eine gute Karte unbedingt angewiesen ist. Für Eintrittsgelder sollte man ein extra Budget einplanen, denn die sind oft happig.
Irland ist sicher kein Reiseziel für Leute, die Remmidemmi wünschen, sondern eher für Naturliebhaber, die sich für Land und Leute interessieren. Hat man noch Spaß an Historie, ist man in diesem wunderschönen Land sicher bestens aufgehoben.


Literaturempfehlungen:


- Adès, Harry: The Famine. Bath, 2. Aufl. 2000 (kurze aber prägnante Zusammenfassung über die Hungersnot in Englisch)
- Dubilski, Petra: Irland. Köln, 2002 (= DuMont extra)
- Gerard-Sharp, Lisa: Irland. Starnberg, akt. Neuaufl. 2001 (= Dorling Kindersley Vis-à-Vis)
- Woodham-Smith, Cecil: The great Hunger. Ireland 1845-1849. Harmondsworth, Neuaufl. 1991 (Hervorragende Abhandlung über die Hungersnot und ihre Auswirkungen in Englisch)