Tervuren

Bei unserem Besuch in Belgien 2023 stand ein Besuch das Afrika-Museums im nur 17 km von Waterloo entfernten Brüsseler Vorort Tervuren auf dem Programm. Das Museum, der offizielle Name lautet "Koninklijk Museum voor Midden-Afrika", also Königliches Museum für Zentral-Afrika, war vor einigen Jahren nach grundlegendem Umbau und Umgestaltung wiedereröffnet worden. Da ich mich viele Jahre lang mit Kolonialgeschichte beschäftigt habe, war ich auf das "neue" Museum gespannt. Zum Verständnis muß man die Geschichte des Museums kennen.

Der belgische König Leopold II. vereinnahmte nach der Berliner Kongokonferenz 1885 das Territorium Kongo als seinen Privatbesitz, ein in der gesamten Kolonialgeschichte einzigartiger Vorgang. U.a. der Kautschukboom führte zu einer rigorosen Ausbeutung des Kongos und seiner Bewohner. Als die als Kongo-Greuel bezeichneten Gewalttaten an die Öffentlichkeit gelangten, trat Leopold den Kongo 1908 notgedrungen an den belgischen Staat ab und das Territorium erhielt die Bezeichnung Belgisch-Kongo.

Für Deutsche interessant ist die Tatsache, daß die beiden Königreiche Ruanda und Urundi ab 1897 zu Deutsch-Ostafrika gehörten und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vom Völkerbund als "Ruanda-Urundi" als Mandatsgebiet unter belgische Herrschaft gestellt und später Belgisch-Kongo angegliedert wurden.

Das Museum wurde als Propagandainstrument für Leopolds Kolonie 1897 eröffnet, u.a. auch, um Investoren für den Kongo zu gewinnen. Als die Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten, ließ Leopold 1908 das heute bestehende Gebäude samt Parkanlage im Versailler Stil errichten. Die Eröffnung 1910 erlebte er nicht mehr, da er kurz zuvor verstarb. Bis zur Schließung 2013 behielt das Museum seine althergebrachte Ausstellung mit kolonialpropagandischer Ausrichtung bei - in der heutigen Zeit der zwangsweise geforderten politischen Korrektheit undenkbar. In den folgenden Jahren wurde eine konzeptionelle Neuausrichtung des Museums ausgearbeitet sowie ein Neubau errichtet.

Um es vorweg zu nehmen: bei mir hinterließ das Museum einen sehr ambivaltenten Eindruck. Allerdings habe ich die Kuratoren für die Mammutaufgabe, aus einem Kolonialmuseum mit den entsprechenden Exponaten ein Afrikamuseum zu gestalten, wahrlich nicht beneidet.

Wenig gelungen ist m. E. das neue Gebäude mit dem Eingangsbereich. Ein steriler Glasbau in Sichtweite des Palastes ist wirklich Geschmacksache. Aber die Zuwegung zum historischen Gebäudekomplex durch ein verminkeltes Tunnelsystem mit zig Treppen und nur einem Einbaum als Exponat: muß so etwas sein? Das historische Gebäude in Mamor und reichen Verzierungen, wohlgemerkt erbaut aus den Gewinnen aus dem Kongo, ist imposant und vermittelt sehr gut Leopolds Selbstverständnis als "Eigentümer" von Land und Leuten (!). Es ist eine einzige royale Machtdemonstration.


Die Ausstellung gliedert sich in die Bereiche Sprachen und Musik, Landschaften und Biodiversität, Ressourcen & Rohstoffe. Der frühere Haupteingang befand sich ursprünglich in der Rotunde, in dem ein ausgestopfter Elefant stand. Dieser ist nun an die Seite gerückt und durch die Skulüptur eines kongolesischen Künsters - ein afrikanischer Kopf aus Holz - ersetzt worden. Der sehr große Fokus auf Tier- und Pflanzenwelt, der vom früheren Konzept beibehalten wurde, wirkte auf mich überdimensioniert, insbesonderere in Vergleich zur unterrepräsentierten Kolonialgeschichte. Gerade dieser Geschichte verdankt das Museum schließlich sein Dasein und die Geschichte als Privatkolonie ist singulär. Gleichzeitig ist Kolonialgeschichte nie eindimensional gewesen, so schrecklich viele Aspekte waren, es gab auch durchaus positive Bereiche. Dies wird aber in der heutigen Aufregungs-"Kultur" nicht mitbedacht und auch in der Ausstellung nicht entsprechend gezeigt. Interessant wäre auch ein Bereich über die postkoloniale Entwicklung des Kongos gewesen, die immer noch extrem destruktiv ist und auf den Einfluß nicht-europäischer Akteure wie China.

Mir scheint, die Kuratoren versuchten einen Spagat: die Beibehaltung der Exponate, die eindeutig einen kolonialen Hintergrund haben, und die Anpassung an den heutigen Zeitgeist. Der heute überall lauten und schrillen Forderung nach zwangsweiser Resititution musealer Gegenstände begegnet man mit einer Erläuterungstafel, daß man sich darum bemühe, die Herkunft der Exponate herauszufinden. Damit werden sich die Vertreter dieser Forderungen aber nicht zufrieden geben und letztlich hätte man den Text weiter ergänzen müssen um einen Hinweis auf solche absolut dilettantischen Aktionen wie die deutsche Restitution der sog. Benin-Bronzen durch zwei "ausgewiesene Expertinnen" wie Claudia Roth und Annalena Baerbock.

Etwas hilflos wirkte auf mich auch der Eingangssaal des Museums, gefüllt mit figuralen Darstellungen von Afrikanern und einer Büste Leopold II., wie man sie bis 2013 im Museum zeigte und von der man sich heute natürlich entschieden distanziert. Etwas ketzerisch ist der Gedanke, ob man das Museum nicht in seiner alten Konzeption hätte belassen sollen, verbunden mit den entsprechenden Hinweisen, daß Museen früher eben so aussahen. In der vorliegenden Form werden Besucher vermutlich am Ende der Ausstellung mehr Fragen als Antworten haben.
Zum Museumsgebäude gehörende Parklandschaft