Eine Reise nach Tschechien im Mai 1998

An einem Tage besichtigten wir auch den nächst größeren Ort in der Nähe Jáchymos, Ostrov (Schlackenwerth). Das Städtchen liegt an der Hauptstraße nach Karlsbad und stammt aus dem 13. Jahrhundert. Die Innenstadt ist sehr hübsch und Attraktion des Ortes ist eine nach dem Muster des Schlosses von Versailles erbaute Anlage mit großzügigem Park. Leider befand sich in dem Schloß eine Schule, so daß Besichtigungen nicht möglich waren. In der Mitte des Parks gab es auch noch ein "Lustschloß", in der eine Bildergalerie untergebracht war. Für die vielen sächsischen Grenzgänger gab es aber noch eine ganz andere Attraktion in der Stadt: einen hochmodernen Supermarkt, in dem sie sich bis zur vom Zoll zugelassenen Grenze alimentierten. An Rande der Stadt fand sich ein großer Industriebezirk mit Gießereien, einer Porzellan- und anderen Fabriken.

Sehr sehenswert war auch das Örtchen Loket (Elbogen), 13 km südwestlich von Karlsbad gelegen. Bereits Ende des 12. Jahrhunderts wurde zur Sicherung der böhmischen Westgrenze hoch über dem Fluß Eger eine imposante Burg erbaut, deren Besichtigung wir uns auch nicht entgehen ließen.

Vom Burgturm aus hatte man einen phantastischen Blick auf die Umgebung und auch das Ortszentrum von Loket. Dieses machte einen ganz anderen Eindruck als die verwahrloste Hauptstraße von Jáchymov! Die Häuser waren frisch gestrichen, der Putz in Ordnung und die Dächer mit roten Ziegeln gedeckt. Überall gab es nette kleine Geschäfte mit freundlichen Angestellten.

Mehrmals fuhren wir auch in die mit 56.000 Einwohnern größte und vor allem bekannteste Stadt der Region, Karlsbad. Karlsbad ist eine Stadt der Gegensätze: heruntergekommene Vorstädte und ein herausgeputztes Zentrum; historische Badehäuser neben einem 1970er Jahre Kulturzentrum...

Um "auf Nummer sicher" zu gehen, parkten wir unser Auto auf dem bewachten Parkplatz unmittelbar vor dem berühmten Grandhotel Pupp. Das Pupp ist seit 1726 die erste Adresse am Ort und stimmte uns auf die Architektur Karlsbads ein. Die ersten Badeanstalten entstanden immerhin schon 1522, vor allem um den sog. Sprudel, eine heiße Quelle. Die Besucherzahlen stiegen aber vor allem im 19. Jahrhundert mit den Straßenanbindungen nach Prag, Marienbad und Elbogen, so kamen 1874 immerhin schon 20.000 Kurgäste in das Städtchen. Wir schauten uns also als erstes das in der Nähe des Pupp befindliche 1. Bad (Lázne 1) oder auch Kaiserbad an. Es entstand um 1895 und stellt eines der bedeutendsten Gebäude der Stadt heute dar. Weiter ging es über die Uferpromenade entlang des Flüßchens Teplá.

Wunderschön anzusehen waren neben vielen anderen Kolonaden u.a. die hölzerne Marktkolonade (Trzní kolonáda, 1883), unter der die Marktquelle ans Tageslicht quillt und die barocke Maria Magdalena Kirche (Kostel sv. Márí Magdaléna). Was man allerdings von der neuen Sprudelkolonade (Vrídelní kolonáda) halten soll, ist dem Besucher überlassen. Im 2. Weltkrieg war die historische Gußkolonade zerstört worden und 1975 entschloß sich der kommunistische Stadtrat, um die ältestes und heißeste Karlbader Quelle, den Sprudel, ein riesiges Kultur- und Badezentrum zu bauen. Bedenkt man die sehr enge Lage der Altstadt entlang des Flusses, ist diese Entscheidung heute nicht mehr nachzuvollziehen.

Diese Lage hat auch den entscheidenden Nachteil, daß man es an heißen Tagen in der Altstadt nicht aushält. Wir besuchten Karlsbad an einem warmen Junitag und im Tal herrschten unbeschreibliche 29°! Es war fast nicht auszuhalten. Wie erholsam war an diesem Tag die Rückkehr in das viel kühlere, da viel höher gelegene Jáchymov!

Trotzdem hat uns Karlsbad sehr gut gefallen. Die Stadt atmet noch die Atmosphäre vergangener Jahrhunderte und es bedarf keiner großen Phantasie, sich frühere Gäste vorzustellen, die entlang der Teplá flanierten... Hinzuweisen ist auch auf die zahlreichen Möglichkeiten, handgefertigtes böhmisches Glas in allen Formen und Farben zu erstehen - zu unschlagbaren Preisen!

Anläßlich meines bevorstehenden Geburtstages wollten wir uns etwas Gutes gönnen und buchten einen Tisch im Restaurant des Grandhotels Pupp. Leider kann ich zu diesem Erlebnis nur den Reiseführer zitieren: "Angelockt wurden die Besucher freilich weniger von der Kunst der Köche als von der nostalgischen Atmosphäre - was sich bis heute nicht völlig geändert hat." Restaurantausstattung top - Essen flop. Auf die kurze Formel ließ sich der Besuch bringen. Schade eigentlich für ein so alteingesessenes Haus...

An meinem Geburtstag, der in diesem Jahr auf den Pfingstsonntag fiel, stand eine Tagestour nach Prag auf den Programm. Die Fahrt, die uns über Karlsbad auf direktem Wege in die tschechische Hauptstadt führte, dauerte wegen der gut ausgebauten Straßen nur zwei Stunden. Um unseren Wagen in wirklich sicheren Händen zu wissen, parkten wir ihn in der Tiefgarage des Interconti Hotels. Das Hotel lag zudem sehr günstig in der Altstadt direkt an der Moldau, die wir überquerten, denn das erste Besuchsziel sollte die Prager Burg (Hradschin) sein.

Einfach phantastisch ist der St.-Veits-Dom aus dem Jahre 1344. Hier wurden die böhmischen Könige gekrönt und auch begraben. Unmittelbar daneben befindet sich im ehemaligen Königspalast der Vladislav-Saal, 62 m lang, 15 m breit und 13 m hoch, in dem immer die Krönungsfeierlichkeiten stattfanden. Im Ludwigspalast neben dem Vladislav-Saal liegen die Räume der Böhmischen Kanzlei, in dem 1618 der sog. "Prager Fenstersturz" stattfand, der u.a. auch zum Dreißigjährigen Krieg führte. Für mich war diese Stelle von besonderer Bedeutung, stamme ich doch aus der Stadt, wo ab 1648 die Friedensverhandlungen zum Abschluß dieses ersten europäischen Gesamtkrieges stattfanden. Der Blick aus dem Fenster, aus dem der kaiserliche Statthalter geworfen wurde, ist übrigens außerordentlich schön!
Ebenfalls in Sichtweite des St.-Veits-Doms liegt die noch aus romanischer Zeit stammende St.-Georgs-Basilika.

"Die" Attraktion der Prager Burg ist aber neben dem Dom das sog. Goldmachergäßchen (Zlatá ulicka). Diese schmale Sackgasse ist von kleinen Häuschen gesäumt, in denen einst die Burgschützen und einige Goldschmiede lebten. Im ersten Weltkrieg bewohnte Franz Kafka eines der Häuser für einige Zeit. Bei dem Traumwetter, welches wir an diesem Tag hatten, war natürlich in der ganzen Burg ein enormer Touristenandrang. Im Goldmachergäßchen kulminierte aber der Touri-Ansturm. Es ging nicht vor und zurück, die Besucher traten sich fast auf die Füße. Also beließen wir es bei einem schnellen Blick und wandten uns anderen Gebäuden in der Gesamtanlage zu. Auf einmal ertönte ein Ruf nach meinem Namen. Automatisch schaute ich mich um. Das gab es doch nicht! Eine Freundin aus meiner Heimatstadt und ein weiterer Bekannten hatten sich ebenfalls spontan für einen Pragbesuch entschlossen und waren genauso erstaunt, uns dort zu treffen, wie wir erstaunt waren, sie dort zu sehen. Die Welt ist eben doch recht klein!

Die Luft wurde immer schwüler und wir machten uns auf den Weg zur Karlsbrücke, um uns die andere Uferseite Prags anzuschauen. Die Brücke ist von imposanten Ausmaßen und immerhin 520 m lang und durch barocke Statuen geschmückt. Sie ist für Prag, was der Montmatre für Paris ist: hier finden sich Karikaturisten, Musiker, Händler und Unmengen Touristen. Alle spürten das herannahende Gewitter und es herrschte Aufbruchsstimmung. Kaum hatten wir das andere Ufer erreicht, öffnete der Himmel seine Schleusen und es schüttete wie aus Gießkannen. Jeder, der auf den Straßen war, versuchte sich unterzustellen oder ein Plätzchen in einem Restaurant zu ergattern. Es war chaotisch. Wir quetschen uns mit unzähligen anderen Touristen zum völligen Entsetzen der Bedienung auch in ein solches Restaurant und mußten fast eine Stunde warten, bis sich das Unwetter verzogen hatte.

Endlich hörte es auf zu regnen und wir konnten weiter. Leider hatte es sich durch das Gewitter drastisch von 29 auf sicherlich 18° abgekühlt und der Himmel war grau in grau. Von hier waren es nur noch einige Schritte bis zur nächsten Sehenswürdigkeit, dem Altstädter Rathaus (Staromestská radnice) aus dem 14. Jahrhundert mit der berühmten Astronomischen Uhr am Südportal. Hinter dem Rathaus beginnt der Altstädter Ring (Staromestské námesti), der eigentlich ein Platz ist und schon im Mittelalter als Handelsumschlagplatz diente. Auf dem Platz steht heute das monumentale, moderne Jan-Hus-Denkmal. Auf der anderen Seite wird der Altstädter Ring begrenzt durch die Teynkirche (Týnský chrám), deren zwei 80 m hohe Türme unübersehbar sind. Den Abschluß oder eigentlich Anfang des Königsweges in die Altstadt bildet der Pulverturm (Prasná brána) von 1475. Damit hatten wir dann auch die "Top-Highlights" von Prag besichtigt. Die restliche uns noch verbleibende Zeit nutzen wir zu einem zwanglosen Bummel durch die Stadt und nach einem Abendessen im Interconti machten wir uns auf den Weg zurück nach Jáchymov. Es war schade, daß wir durch das Gewitter so viel Zeit verloren hatten....

Resümee der Reise: In nur 7 Stunden Fahrt erreicht man von Westdeutschland aus das böhmische Bäderdreieck. Von Jáchymov aus kann man hervorragend die Sehenswürdigkeiten der Region besichtigen, das Radium Palace war wunderschön, leider aber ein Sanatorium. Uns ließ man aber eine Menge Freiheiten! Ich kann nur hoffen, daß sich bald Mittel finden, die schönen Häuser und Portale an der Hauptstraße Jáchymovs zu renovieren. Karlsbad und Prag zeigten sich uns von ihren besten Seiten. Alle Tschechen, mit denen wir Kontakt hatten, waren wirklich freundlich. Im Jáchymover Raum war eine Verständigung auf Deutsch kein Problem, in Prag hingegen war Englisch die erste Fremdsprache. Das Erzgebirge ist wunderschön, auch Oberwiesenthal ist einen Ausflug wert. Für uns war die Nähe zur deutschen Grenze sehr praktisch zum Einkauf von Lektüre und zum Essen. Ich als Vegetarierin kam mit der schweren, fleischlastigen böhmischen Küche jedenfalls nicht klar. Ich kann die Region zu einem Urlaub bestens empfehlen!


Literaturempfehlungen:

- Güntherová, Hana; Surová, Marie: Jáchymov - St. Joachimsthal. O.O. 1997 (in tschechisch, deutsch, englisch)
- Herre, Sabine: Tschechische Republik, München 1996 (= Polyglott)
- Jáchymov (Hrsg. v. Stadtamt und städt. Kulturzentrum Jáchymov). Prag 1995 (in deutsch)
- Vorel, Lubor: Prag, Ostfildern 8. Aufl. 1998 (= Marco Polo)