Richtung Cranbrook, British Columbia

Nach ziemlich genau einer Stunde erreichten wir die Grenze nach British Columbia. Der kanadische Grenzer war bester Laune: "Wo geht es jetzt hin? Nach Vancouver? Was machen Sie denn da?" Bei meiner Antwort "nach Hause fliegen" mußte er lachen.
Unmittelbar hinter der Grenze führt der Highway 93 durch das kleine Reservat der Tobacco Plains Indianer. Leider dominierten hier auch die Trailer.

Durch ein landschaftlich ansprechendes Gebiet fuhren wir zu unserem nächsten Stop, der Fort Steele Heritage Town. Dabei handelt es sich um einen hervorragend restaurierten ehemaligen Posten der North West Mounted Police von 1864.
Auf dem sehr großen Gelände mit den über 60 Gebäuden war am heutigen Freitag einiges los. Interessant waren vor allem die Vorführungen in alten Handwerkskünsten wie der Schmiede und der Sattler. An einer Stelle konnte man sogar - von einem ehemaligen Polizisten - Goldwaschen lernen. Seit er Rentner ist, wäscht er Gold in den umgebenden Bergen und hat sogar schon einige Nuggets befunden, die er uns stolz präsentierte.

Ist man einmal in der Gegend, darf auch ein Besuch von Kimberley "the German village" nicht fehlen. Als 1972 die örtliche Miene schloß, mußten Arbeitsplätze geschaffen werden. Dies versuchte man durch die Umwandlung des Städtchens in einen "deutschen" Ort - genauer gesagt in das, was man für Deutsch hielt. Herausgekommen ist eine ganz schlechte Kopie von den "deutschen" Orten Leavenworth im Staate Washington und Hahndorf in Australien.
Kimberley besteht aus einer 200 m langen Fußgängerzone, in deren Zentrum - dem "Platzl" - das Highlight eine riesige, überdimensionale kitschige Kuckucksuhr ist, die zur Zeit unseres Besuches auch noch gnadenlos falsch ging. Anstelle des Kuckucks kommt ein Bayer mit Bierhumpen aus dem Kläppchen! Dann gab es noch zwei deutsche Restaurants und ein Andenkengeschäft. Das eine deutsche Restaurant wurde anscheinend tatsächlich von einem Deutschen betrieben - aber es stand zum Verkauf. Der Ort war, Vorsaison hin, Vorsaison her, zur Zeit unseres Besuches vollständig tot und befand sich wohl auch sonst auf einem absteigenden Ast. Kopfschüttelnd fuhren wir weiter, wurden aber bald entschädigt. Direkt an der Straße stand ein junger Elchbulle und eine Elchkuh und tranken unbeirrt von uns und anderen Autos aus dem Straßengraben!

Kootenay Indian Reserve, British Columbia

Wir steuerten das Quartier für die nächste Nacht an, das St. Eugene Golf Resort & Casino, gelegen in der Nähe von Cranbrook auf dem Reservat der Kootenay Indianer. Dieses eindrucksvolle Gebäude blickt auf eine unrühmliche Geschichte zurück, denn es diente von 1912-1970 (!!) als residential school zur Umerziehung der Indianer zu "guten Menschen". Die historischen Gemäuer, die nun als Hotel dienen und in denen überwiegend indianische Angestellte arbeiten, berührten mich doch sehr. Mehr als ärgerlich war allerdings das Faktum, daß das im Gebäude untergebrachte Informationszentrum der Kootenay nur immer von montags bis donnerstags geöffnet hat, mithin einer Zeit, wo das Hotel am wenigsten besucht ist. Gut besucht von Weißen war das angeschlossene Spielcasino. Auch das Restaurant konnte sich durchaus sehen lassen. Von unserem Tisch aus überblickte man den direkt an das Hotel angrenzenden Golfplatz und - etwas weiter hinten - einen Friedhof! Dies ließ mir keine Ruhe und ich bahnte mir nach dem Essen einen Weg dorthin. Der Friedhof war völlig verkommen. Ganz überwiegend waren die kaum mehr zu erkennenden Gräber mit Holzkreuzen geschmückt gewesen, von denen nunmehr die Mehrzahl umgebrochen war. Ausnahmslos, bis auf einen Pater (mit Grabstein aus Stein!) handelte es sich um Schüler des Internats, und das letzte Kreuz datierte von 1969! Ganz augenscheinlich wurde der Friedhof auch heute noch genutzt. Zwei neue Gräber waren mit Halstüchern und Baseballmützen der Verstorbenen geschmückt. Nachdenklich machte nicht nur der Blick über den Friedhof zu dem klotzigen Internat, sondern auch der Gedanke an die historischen Photos, die dort in den Fluren hängen.

Am nächsten Morgen schaute ich mir noch die unmittelbare Umgebung des Hotels an. Hier stand noch die historische Kirche, die ich bereits auf den alten Photos gesehen hatte. Direkt daneben fand sich die stammeseigene Grundschule. Das Hotel ist DAS indianische Prestigeobjekt der Region.

Richtung Rossland, British Columbia

Leider war das Wetter inzwischen umgeschlagen und da wir in die Berge fuhren, wurde es noch schlechter. Der Besuch des Creston Valley Wildlife Management Area mußte wegen Dauerregens leider ausfallen. Ab hier stieg die Straße nun sehr steil an bis zum Kootenay Paß in 1774 m Höhe. Zu sehen gab es in dem Nebel nicht viel, bis auf viel Schnee neben der Straße und einem noch immer zugefrorenen See - kein Wunder bei +3 Grad! Die bei schönem Wetter sicherlich pittoreske Straße wandt sich durch die Berge bis wir endlich unser nächstes Ziel, Rossland, erreicht hatten. Rosslands Boomzeit war 1890, als der erste Erz-Claim abgesteckt wurde. Der deutschstämmige Visionär Fritz Heinze hatte bereits 1896 in der Nachbarstadt Trail eine Gold- und Kupferschmelze erbaut und betrieb die Errichtung einer Eisenbahnlinie, die später von der Canadian Pacific Railroad aufgekauft wurde. Einen weiteren Anschub erhielten die Städte mit der Entdeckung einer riesigen Eisenerzader in Kimberley.
Wir besuchten das große, nett aufgemachte Rossland Historical Museum und den Außenbereich der daneben gelegenen LeRoi Goldmine, die man zur Zeit leider nicht besichtigen kann.
Sehr ärgerlich war unser Aufenthalt im an und für sich sehr guten Prestige Mountain Resort. Bei Außentemperaturen von deutlich unter 10° war die Klimaanlage des Hotels auf "Kühlen" gestellt worden. Nach Aussage des Personals daure es drei Tage, die Anlage wieder auf Wärmen zu stellen. Nein, aus Sicherheitsgründen könne man uns auch keine Heizgeräte aufs Zimmer stellen. Es war rattenkalt und in unserer Verzweiflung ließen wir die Glühbirnen im Badezimmer die ganze Nacht brennen, um etwas Wärme zu erreichen.
Rossland selbst war wohl eher ein Wintersportort, zur Zeit unseres Besuches war die Stadt wie ausgestorben.

Weiter ging es durch die Berge und vorbei am wunderschönen Christina Lake, in unmittelbarer Nähe wiederum zu den USA. Bald darauf war Grand Forks erreicht, wo wir weit außerhalb der Stadt nach einigem Suchen endlich das Mountainview Doukhobor Museum fanden, welches bedauerlicherweise wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Bei den Duchoborzen handelt es sich um Abweichler vom Glauben der russisch-orthodoxen Kirche im Rußland des 18. Jahrhunderts. Die sich daraus entwickelnde Sekte floh Ende des 19. Jahrhunderts nach Saskatchewan, spaltete sich auf und einige orthodoxe Sektenmitglieder zogen nach British Columbia.

Osoyoos und Osoyoos Reservat, British Columbia

130 km weiter hatten wir unser nächstes Ziel erreicht: die Grenzstadt Osoyoos. Diese ist der südliche Beginn einer in Kanada einmaligen halbwüstenartigen Klimazone, dem Okanagan Tal. Auf etwa 120 km reiht sich Weingut an Weingut und Obstplantage an Obstplantage. Kommt man vom Osten, hat man auf einer Anhöhe einen fantastischen Blick über den Osoyoos Lake, das Osoyoos Reservat und die gleichnamige Stadt. Am Fuß des Berges, direkt zur rechten Hand, beginnt das Reservat der zu den Okanagan Indianern gehörenden Osoyoos Indian Band. Diese sind wirtschaftlich ganz außerordentlich aktiv und gründeten vor einigen Jahren das erste indigene Weingut Kanadas, die Nk'Mip Winery, die schon einige Preise gewann. Angegliedert ist das Spirit Ridge Vineyard Resort & Spa im mexikanischen Stil. Direkt daneben befindet sich das ebenfalls neue Nk'Mip Desert Cultural Centre, in welchem die Geschichte und Kultur der Osoyoos Indian Band sehr anschaulich dargestellt wird. Ich kam mit einem Angestellten des Zentrums ins Gespräch. Dieser war zuerst, typisch indianisch, ausgesprochen zurückhaltend, taute dann aber völlig auf, als er hörte, daß ich auf der Suche nach einem Stammesmitglied war. Auch war er sehr interessiert zu hören, daß wir zwei Nächte vorher auf der St. Eugene Mission übernachtet hatten. Er erzählte mir, wie Kinder auch aus der hiesigen Region unter Androhung von Gewalt ihren Eltern weggenommen wurden und ohne Stop und Verpflegung auf die weite Reise nach Cranbrook gebracht worden waren. Diese riesige Einzugsbereich der Mission erklärte natürlich auch die Größe des Gebäudes dort. Der Mann selbst, Jahrgang 1960, war seinen indianischen Eltern weggenommen und in eine weiße Pflegefamilie gesteckt worden. Er habe zwar mit seinen Pflegeeltern Glück gehabt, habe aber komplett den Kontakt zu seiner Kultur verloren. Erst vor 15 Jahren habe er sich zurück besonnen und angefangen, sich für Geschichte und Kultur seines Stammes zu interessieren. Auch habe er angefangen, die Okanagan Sprache zu lernen. Lachend bemerkte er, daß sich die Situation heute zum Glück geändert habe. Seine Neffen und Nichten würden auf der Schule Okanagan lernen und sich über seine schlechte Aussprache lustig machen.

Wir verabschiedeten uns von den netten Mann und fuhren an der westlichen Seite des Osoyoos Lakes nach Norden. An der Straße liegen diverse Weingüter und Obstplantagen. Bei Nelson, am nördlichen Ende des Sees, bogen wir nach rechts ab und erreichten wieder das Reservat. Direkt am Anfang lag die kleine Stammesverwaltung und eine Tankstelle. Wir folgten der Straße und waren über die gepflegten Häuser im Reservat erstaunt. Bald hatten wir das Haus meines indianischen Bekannten erreicht, der mich im vorigen Jahr über das Internet kennengelernt hatte. Wir teilen ein gemeinsames Hobby, denn er besitzt zahlreiche Pferde und züchtet sogar damit. Als wir ankamen, gewöhnte er gerade einen jungen Hengst an den Sattel. Es war ein höchst erfreuliches persönliches Kennenlernen und wir verbrachten einen sehr schönen Nachmittag zusammen.

Leider lag noch eine Stunde Fahrt vor uns bis zu unserem nächsten Nachtquartier in der Nähe des kleinen Ortes Hedley. Diesmal hatten wir ein Bed & Breakfast gebucht und wurden von den Besitzern Dianne und Harry Jones überaus freundlich empfangen. Am nächsten Morgen konnten wir ihren kleinen Privatzoo mit Hunden, Hühnern, zwei Eseln und diversen Schafen anschauen. Ich durfte sogar die kleinen Lämmchen füttern! Nachdem ich von meinem Interesse an indianischer Kultur erzählt hatte, war Harry bereit, mich zu einigen Stellen zu führen, wo wir indianische Felszeichnungen anschauen konnten. Ich war schier begeistert!

Weiteren Einblick in die Geschichte der Region erhält man bei einem Besuch des winzigen Ortes Hedley. Hier hat die zur Okanagan Nation gehörende Upper Similkameen Indian Band das Snaza'ist Centre eröffnet, in dem Geschichte und Kultur des Stammes erläutert wird. Ich unterhielt mich mit der indianischen Angestellten. Sie hatte eine Ausbildung als Archäologie Assistent und kannte sich hervorragend aus. Sie war sogar schon einmal im neuen Museum of the American Indian in Washington DC gewesen. Nach einer Weile erzählte sie mir davon, daß ihre Mutter zu den Leidtragenden gehört hatte, die zwangsweise auf eine residential school gebracht worden waren. Als Teenager flüchtete sie aus dem Internat in die USA, war aber bis heute augenscheinlich traumatisiert. Die Frau erzählte, daß z.B. ganz bestimmte "Betten-machen-Rituale" in der Gegenwart der Mutter nicht durchgeführt werden dürfen.
Zum Snaza'ist Centre gehört auch die weit oberhalb des Zentrums am Berg gelegene Mascot Gold Mine. Früher hatten die Indianer dort Ocker gewonnen bis von den Weißen am Berg Gold entdeckt wurde.

Richtung Vancouver, British Columbia

Hedley war unser letzter Stop vor Vancouver. Der ausgezeichnet ausgebaute Highway führt auf langen Strecken durch den Manning Provincial Park. Unseren Plan, dort zum Cascade Lookout zu fahren, konnten wir nicht verwirklichen, weil die Straße wegen Schnees immer noch gesperrt war.
Ab der Stadt Hope wurde der Verkehr merklich dichter und am frühen Nachmittag erreichten wir die Innenstadt Vancouvers über die East Hastings street. Wo waren wir denn hier gelandet? Vor allem im Kreuzungsbereich Main street trauten wir unseren Augen nicht: auf den Bürgersteigen wimmelte es nur so von Menschen. Diese waren zu sicherlich 80% Indianer, und ausnahmslos alle machten einen völlig abgerissenen, betrunkenen oder betäubten Eindruck. Die restlichen 20% Weiße waren in genau dem gleichen Zustand. Völlig erschreckend waren die zahlreichen Frauen, die über die Bürgersteige torkelten. Einige der Menschen boten irgendwelchen Krempel auf den Bürgersteigen zum Verkauf an. Die Straße war flankiert von Pfandleihgeschäften und einer Suppenküche, vor der eine lange Schlange Menschen stand.

Wir fuhren weiter bis zum Four Seasons Hotel, in dem wir auch schon bei unserem letzten Besuch von Vancouver geschlafen hatten. Leider war das Wetter alles andere als einladend. In den nächsten zwei Tagen schauten wir uns erneut die Innenstadt an: die beiden Einkaufsstraßen Georgia und Howe street, natürlich Gastown mit der Dampfuhr. An Chinatown grenzt die East Hastings street und wir wurden erneut Zeuge des unglückseligen Treibens dort. Uns wurde erzählt, daß die Stadtverwaltung von Vancouver jenen Winter drei "Hotels" für jeweils drei Monate anmietet und die Obdachlosen dort einquartiert.

Ein Besuch des Granville Island Public Market durfte auch nicht fehlen sowie erneut ein Besuch im Vancouver Museum. Hier war ein Raum freigeräumt worden, in dem demnächst die Geschichte der Indianer der Region dargestellt werden soll. Erschreckend war der Bereich des Museums, in dem auf die Behandlung der japanischenstämmigen Kanadier eingegangen wurde. Diese wurden nämlich, analog zur Behandlung in den USA, 1942 enteignet und in Camps jenseits der Rocky Mountains interniert. "Alternativ" bot man den Menschen an, nach Japan zurückzukehren, auch wenn sie längst in Kanada geboren waren!
Sehr schön und informativ war auch das Treffen mit der nach Kanada ausgewanderten Tochter von Bekannten von uns.

Damit neigte sich der Urlaub bereits dem Ende entgegen. Um 17.30 Uhr ging der Flug der Lufthansa zurück nach Frankfurt. Wegen des kräftigen Jetstrams dauerte der Flug nur 9 Stunden und nach einem kurzen Stop ging es weiter zu unserem Heimatflughafen.


Literaturempfehlungen:


- Förg, Nicola u.a.: Kanada. Nordwesten, Pazifikküste, Rockies, Prärieprovinzen. München. 2008 (= Nelles)
- Jepson, Tim u.a.: Kanada. Der Westen. Berlin, 3., überarb. Aufl. 2008 (= Stefan Loose Travel Handbücher)
- Ohlhoff, Kurt Jochen: Kanada. Der Westen. Alaska. Köln 2. Aufl. 2009 (= Du Mont richtig reisen)
-Teuschl, Karl: Kanada. Der Westen. München 2009 (= Polyglott on tour)